Schmeckts noch
Milchindustrie angewandt wird, bleibt abzuwarten. Vielleicht läuft der »echte« Milde ja bald als fertiges Produkt vom Band der Joghurtfabrik.
Geschmack und Konsistenz aus dem Labor
Hinter verschlossenen Labortüren tut sich also einiges, um Milchprodukte immer weiter zu optimieren. Laien können sich kaum vorstellen, welche Rolle Know-how und Technologie heute bei einem schlichten Produkt wie Joghurt spielen. Beispielsweise hat die internationale Lebensmittelindustrie den Begriff »mouthfeeling« (wörtlich: Mundgefühl) geprägt. Hinter dem harmlosen Wort verbergen sich ungeheure wissenschaftliche Anstrengungen, die Geschmacksrezeptoren des Konsumenten zu täuschen. Im Fall von Joghurt sind Bakterien nicht nur bei der Säuerung, sondernauch für das Gefühl auf der Zunge von zentraler Bedeutung. »Es gibt Bakterien, die bilden Substanzen, die wiederum die Eigenschaft haben, Wasser zu binden«, erläutert Professor Knut J. Heller von der Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel in Kiel. »Dabei entsteht eine Art Schleim, der eine gewisse Cremigkeit vortäuscht.« Der Bakterienschleim in Joghurt ist schon heute die perfekte Substanz fürs »mouthfeeling«.
Mitschuld an der »Schleimmisere« hat die Generation all der Diätenwahnsinnigen, die jede überflüssige Kilokalorie eliminieren wollen. Denn Cremigkeit hängt wie der gute alte Geschmack ganz eng mit dem Fettgehalt zusammen. Die Fettkügelchen in Milchprodukten »rollen« quasi über die Zunge und erzeugen so das angenehme Gefühl der Cremigkeit. Das heißt aber auch: Je magerer ein Joghurt ist, um so mehr Tricks müssen sich die Hersteller einfallen lassen, um eine natürliche Cremigkeit vorzutäuschen.
Mit Proteinen aus dem Fooddesigner-Labor kann man Fettkügelchen imitieren. Durch Mikropartikulierung der Proteinketten, also durch die Zerkleinerung von Eiweißen, entstehen »Kügelchen«, die die Geschmacksrezeptoren auf der Zunge angenehm umspielen. Je höher der Proteingehalt, um so cremiger schmeckt das Produkt. Die Proteine werden aus Milcheiweiß und Molke gewonnen. Für eine angenehme Konsistenz sorgen aber auch Zusatzstoffe wie Stabilisatoren, Stärke, Agar-Agar (eine Art Gelatine, die aus Rotalgen gewonnen wird) und Guarkernmehl (E 412; ein Verdickungsmittel, dem nachgesagt wird, dass es die Verdauung beeinträchtigt und die Darmflora verändert).
Um Geschmack in magere Joghurtprodukte zu zaubern, greifen die Hersteller noch in ganz andere Trickkisten. Bei Joghurts, die mit reduziertem Fettgehalt Diäterfolge versprechen, müssen Fruchtzusätze das Geschmacksdefizit ausgleichen. Wer mit fettarmen Fruchtjoghurts abnehmen will, muss aufpassen: Er machtleicht einen schweren Fehler, denn was bei der Kalorienbilanz an Fett fehlt, kommt durch Zucker wieder obendrauf. Zucker wirkt wie ein Geschmacksverstärker, der in billigen Fruchtjoghurts bis zu 16 Prozent ausmachen kann.
Der auf dem Becher mit bunten Bildern so perfekt beworbene »Fruchtanteil« ist dagegen kaum der Rede wert. In einem 250-Gramm-Becher Erdbeerjoghurt liegt die Menge der Früchte vielleicht bei etwa 15 Gramm. Was da so fruchtig angepriesen wird, ist eine Fruchtzubereitung. Sie enthält bei »Joghurt mit Früchten« etwa 6 Prozent Obst, bei »Joghurt mit Fruchtzubereitung« (man achte auf die sprachlichen Feinheiten!) reichen schon 3,5 Prozent. Das sind bei 250 Gramm Erdbeerjoghurt vielleicht zwei mittelgroße Beeren. Die werden mit Wasser, Zucker und Zusatzstoffen pasteurisiert und verkocht.
Die Natur hat Erdbeeren zu empfindlichen Früchtchen gemacht. Bei der Verarbeitung in Lebensmitteln verlieren sie durch Erhitzen, Verrühren und Konservieren schnell ihr gutes Aussehen und vor allem ihren begehrten Geschmack. Die Früchte werden zu einem unappetitlichen Klumpen und lösen sich geschmacklich in einen Hauch von nichts auf. Außerdem könnten alle Erdbeerfelder der Welt die Nachfrage nach der begehrten Frucht nicht bedienen. Aus einer Tonne frischer Erdbeeren ließen sich gerade mal 100 Gramm Erdbeeraroma herstellen. Die weltweite Ernte würde keine 5 Prozent des amerikanischen Markts decken.
Weil der »Echtfrucht«-Geschmack durch die industrielle Zubereitung so leicht verlorengeht, wird das Produkt mit natürlichen oder naturidentischen Aromen aufgepeppt. Der gutgläubige Verbraucher fällt auf Bilder von frischen Früchten und Landluftwerbung herein, während er in Wirklichkeit ein künstlich völlig überaromatisiertes Produkt kauft. Erdbeeraromen
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