Schmerz - Piccirilli, T: Schmerz - The Midnight Road
war. Er hatte seine Frau angestarrt. Er hatte Emma Waltz angestarrt. Und jetzt Jessie Gray. Er war unfähig, es zu begreifen.
»Du traust mir immer noch nicht«, bemerkte sie. »Das ist gut.«
»Ach ja?«
»Es bedeutet, dass du klug bist, aber das wusste ich schon vorher.«
»Wirklich?«
»Ja. Deswegen ist ja auch etwas Besonderes zwischen uns.«
Da war es wieder, dieses Wort. Diesmal klang es noch hohler und kälter. Dass sie dabei lächelte, machte es nicht unbedingt besser. Sie strich sich die Haare zur Seite. Durch eine Lücke in der Jalousie fiel Licht auf ihr Gesicht.
Er entdeckte den zarten Flaum unter ihrem Ohr und fühlte sich plötzlich magisch von ihr angezogen. Es hätte alles Mögliche sein können. Er wusste, dass es idiotisch war und dass es böse enden würde, und trotzdem konnte er nicht anders. Sie würde all seine Geheimnisse in den Schlagzeilen auswalzen, und er nahm es tatenlos hin.
In immer enger werdenden Kreisen tänzelte sie um ihn herum. Vielleicht war das ihre spezielle Technik der Verführung, vielleicht machten sie das in dem Alter aber auch alle.
Schließlich schmiegte sie sich an seine Brust, und sie küssten sich. Er drehte sie in seinen Armen herum, dieses
Mal mit mehr Leidenschaft. Seine Wut paarte sich mit Lust. Allmählich hatte er das Gefühl, verrückt zu werden. Wenn sie jetzt voneinander abließen, würde sie etwas sagen, das er bereute, und er war gespannt, was es sein würde.
Flynn löste sich von ihr und trat einen Schritt zurück.
Ihre Lippen waren noch rosa vom Druck seines Kusses, als sie ihn fragte: »Hast du etwas dagegen, wenn ich mit deiner Frau spreche?«
Da hatte er es. Junge, Junge, die Frau war nicht ohne.
»Meiner Ex. Soll das heißen, du hast es noch nicht?«
»Ich war bei ihr zu Hause, aber da war nur ein Typ namens Al.«
»Dann hast du also mit Alvin gesprochen.«
Schon wieder ging es nur um ihre Story. Warum zum Teufel hatte er sie bloß reingelassen? Warum hatte er sie geküsst und wollte sogar jetzt noch mit ihr ins Bett, obwohl er doch wusste, dass er ihr egal war und dass er sie eigentlich gar nicht wirklich mochte? Vielleicht zog ihn ihre Oberflächlichkeit an.
Und Marianne? Er wollte sie noch immer. Wie war das möglich? Er musste unbedingt bald mal in Ruhe seine seltsamen romantischen Triebe unter die Lupe nehmen.
»Al mag dich«, sagte Jessie. »Und die beiden reden viel über dich. Du bist immer noch ein Thema.«
»Toll.«
»Er hat mir von deinem Vater erzählt, und dass du sehr böse auf ihn warst. Allerdings wusste er nichts von deinem Bruder.«
Also hatte Marianne ihm von seinem Vater erzählt, aber nicht von Danny. Warum bloß?
»Al verfolgt die Berichte über dich in den Zeitungen und im Fernsehen. Er wurde übrigens rot, als ich deinen Namen erwähnte.«
»Ich habe ihn damals in einer etwas unangenehmen Situation überrascht.«
»Ja, so etwas habe ich mir gedacht. Er sagte, er …«
»Glaubst du wirklich«, schnitt er ihr das Wort ab, »dass ich mich mit dir darüber unterhalten will, Jessie? Über meinen Vater? Oder meine Ex?«
Manche Leute drängten einen in die Ecke und stocherten nach Dingen, über die man nicht reden wollte. Sie taten so, als sei man es ihnen schuldig, als hätten sie ein Anrecht auf jedes noch so kleine Fünkchen Wahrheit. Man konnte froh sein über jedes Geheimnis, das sie einem ließen. Das dunkle Gefühl durchbohrte ihn. Jessie Gray war clever, aber in Gesichtern lesen konnte sie nicht. Sonst hätte sie jetzt den Mund gehalten.
Sie wirkte verlegen. Im Zoo oder im Zirkus hätte das süß aussehen können. Umgeben von lauter Toten weniger.
»Warum nicht?«, wollte sie wissen.
»Weil es nur noch mehr Schmutz ans Tageslicht holt. Und erzähl mir nicht, du tust das, weil du mich magst oder mich heiraten willst.«
Sie nahm seine Hand und ließ sie gleich wieder fallen. Wie in jeder Bewegung lag eine Bedeutung darin.
»Aber du hast ihn nicht zusammengeschlagen. Du hast Alvin nichts getan, im Gegensatz zu diesem anderen Typen, diesem Chad Rocco.«
»Dem habe ich auch nichts getan. Ich habe ihn lediglich davon abgehalten, seine Garage abzufackeln.«
»Er hat ausgesagt, du hättest ihn geschlagen.«
»Das stimmt nicht.«
Entweder log Chad, um Flynn in Schwierigkeiten zu bringen, oder aber Emma hatte nicht nur eingesteckt, sondern auch ausgeteilt.
»Ich habe mich ein bisschen nach deiner Emma Waltz erkundigt«, sagte Jessie. »Die Schwester des Mädchens, das dein Bruder auf dem Gewissen hat.
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