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Schmerz - Piccirilli, T: Schmerz - The Midnight Road

Schmerz - Piccirilli, T: Schmerz - The Midnight Road

Titel: Schmerz - Piccirilli, T: Schmerz - The Midnight Road Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Piccirilli
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gingen sie einfach auf Zeitlupe und holten sich eine hübsche Nahaufnahme. Vielleicht gab es tatsächlich Menschen, die in ihrer Erinnerung einzelne Bilder heranzoomen konnten, aber Flynn musste da passen.
    »Ich verstehe nicht, wie das alles zusammenhängt. Das Leiden und die Wut, die Liebe und die Angst.«
    »Vielleicht tut es das gar nicht«, meinte Mooney und strich sich wieder über den Bart. Er war stolz auf sich. »Vielleicht haben Sie es auch mit zwei verschiedenen Individuen zu tun.«
    Zwei Schatten im Schnee. Die Vorstellung, von zwei Seiten in die Mangel genommen und die Straße hinuntergetrieben zu werden.
    Alvin und Marianne. Chad und Emma. Mooney und Sierra, die sich zusammentaten, um ihn aus unerfindlichen Gründen aus dem Weg zu räumen. Sicher, warum nicht, man konnte nie wissen, wie jemand wirklich war. Nicht einmal man selbst. Vielleicht hatte Shepard auch zwei Brüder. Oder Bragg hatte einen Partner. Oder er selbst, Flynn, war eine gespaltene Persönlichkeit, die sich das alles selbst antat und es danach vergaß. Sicher, warum nicht, man konnte nie wissen …
    Flynn sank in seinen Stuhl und sagte: »Ach du Scheiße, erzählen Sie mir doch nicht so was.« Er drehte sich zum Fenster und dachte darüber nach, wer dort draußen stehen mochte und wie viele es wohl waren. Warum bei zwei aufhören? Vielleicht waren es ja auch drei. Vielleicht zehn. Er stellte sich vor, wie Hunderte von Autos dem Dodge unter das Eis folgten. Ein verfluchter Verkehrskollaps auf der Straße in die Nacht.

21
    Der Schnee fiel und fiel. Der Winter wurde immer schlimmer. Flynn arbeitete seine Fälle ab. Sierra hatte ein Auge auf ihn und kümmerte sich darum, dass er seine Aufgaben erledigte und sich nicht zu sehr in seine Schwierigkeiten vertiefte. Sie vertraute ihm nicht mehr voll und ganz. Es war ein Keil zwischen ihnen und würde es vielleicht immer bleiben, und der Gedanke daran machte ihn traurig.
    Wie ein Besessener schuftete er sich durch die Akten. Gleichzeitig hielt er die Augen offen und suchte jedes Mal, wenn er jemandem im Flur begegnete, nach einer Nachricht in dessen Händen. Wenn er in eine Toilette kam, erwartete er, in der Kabine einen Toten vorzufinden. Er drangsalierte gewalttätige Väter und abgestumpfte Mütter und rief öfter denn je die Polizei. Was vielleicht daran lag, dass er sich Sorgen um sein Urteilsvermögen machte. Und darüber, dass er sich Sorgen machte.

    Sierra kontrollierte seine Berichte doppelt und dreifach und hielt geheime Treffen mit Mooney und anderen Mitarbeitern ab. Hätte er sich besser um den verdammten Kaktus gekümmert, wäre wahrscheinlich alles anders gelaufen.
    Er nahm Ordner mit nach Hause und verbrachte seine Freizeit damit, bei den Kindern vorbeizufahren. Immer mehr falsche Hinweise gingen ein. Das Wetter machte die Leute übersensibel. Je mehr Eis und Schnee sich auf ihr Leben legte, desto gelangweilter wurden sie, und desto mehr widmeten sie sich dem Drama und dem Leid ihrer Mitmenschen.
    Nachdem Flynn mit Lichtgeschwindigkeit seinen Stapel fertig hatte, machte er woanders weiter. Er stieß auf eine Gruppe religiöser Spinner, die in einer umfunktionierten Zwei-Zimmer-Schule hausten. Sie hatten das Haus für einen Spottpreis übernommen und ein Kruzifix daran gehämmert, auf dem Jesus noch dürrer und behaarter aussah als sonst. Sie waren große Verfechter der körperlichen Züchtigung. Eines Sonntags schlich sich Flynn in ihren Gottesdienst. Es dauerte keine vierzig Minuten, bis der Priester sich einen etwa elf- oder zwölfjährigen Jungen schnappte, ihn ohne ersichtlichen Grund vor den Augen der Gemeinde heftig schüttelte und auf den Holzboden stieß. Das alte Gebäude erbebte von der Wucht des Aufpralls. Daraufhin fing der Priester an, in Zungen zu reden, und der Junge stimmte mit ein. Die ganze Szene war ziemlich merkwürdig.
    Flynn wartete, bis der Gottesdienst vorbei war und alle auseinanderliefen, um sich auf das Jüngste Gericht vorzubereiten. Er ging auf den Kopf der Gruppe zu und
knöpfte ihn sich vor, woraufhin der ganze Laden in Geschrei ausbrach, bis auf den Jungen, der ihn fassungslos anstarrte. Immer mehr fielen in den Singsang ein. Es war schon fast zum Lachen. Als einer der Männer im Namen Gottes zudringlich wurde, schlug Flynn ihn nieder. Da fingen sie erst richtig an.
    Irgendjemand musste wohl die Nummer der Polizei gesungen haben. Zwei Beamte tauchten auf und wollten Flynn ins Kittchen stecken, bis sich herausstellte, dass bereits ein Haufen

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