Schmerz - Piccirilli, T: Schmerz - The Midnight Road
wohl sein würde, wenn er zum zweiten Mal die Straße in die Nacht hinunterfuhr. Vielleicht so ähnlich, wieder in seinem Wagen, oder würde es doch nur eine Kugel im Kopf sein, oder ein Elektroschocker am Herz.
Zitternd vor Kälte wurde ihm bewusst, wie schwach er war. Immerhin machte ihn das menschlicher. Das war nicht mehr selbstverständlich. Nicht, nachdem er den Moment erlebt hatte, bevor er ins Leben zurücktrat, den Moment, als er nicht existiert hatte.
»Und?«, fragte er.
»Ich bin befallen«, hörte er jemanden flüstern.
Er wusste nicht, ob die Stimme männlich oder weiblich war. Das passierte nicht oft, normalerweise neigte man zu einem von beiden. Aber jetzt hatte Flynn nicht die geringste Ahnung.
Es lag etwas Schmerzvolles darin. Das tiefe Leid, das Menschen buchstäblich zerriss, sie an Lungenentzündung erkranken ließ, ihnen die Zähne kaputt machte und sie in die Irrenanstalt brachte. Es kam ihm vor, als hätte die Stimme selbst keinen Namen, als wäre dieses Etwas, zu dem dieser Mensch geworden war, nie identifiziert worden. Unsichtbar lag es auf der Lauer, und niemand wusste davon, vielleicht nicht einmal es selbst.
»Was hat das mit mir zu tun? Was wollen Sie von mir?«
Zero berührte ihn mit der Pfote und sagte: »Schöne Grüße von mir.«
Vielleicht war Bragg tatsächlich in den Fluss gesprungen und an den Felsen zerschellt. Vielleicht war er auch immer verrückter geworden. Aber egal, wie durchgeknallt er war, Flynn brachte die Stimme nicht mit einem Militär zusammen. Es konnte genauso gut Alvin sein. Oder Chad. Vielleicht hatte Shepard auch einen Bruder, der glaubte, sich an ihm rächen zu müssen. Flynn war irgendjemandem zu nahe getreten und hatte das Böse in ihm entfacht.
»Danke für den Anruf«, sagte Flynn etwas benommen. »Hat mich wirklich gefreut.« Sein Mund verzog sich zu einer unkontrollierten Grimasse. »Und jetzt hör mir gut zu. Ich werde dich mit einem glühenden Messer aufschlitzen und in dein Blut spucken.«
Die Verbindung wurde unterbrochen. Flynn verharrte regungslos und horchte. Zero saß auf der Couch, blickte in die aufgeschlagene Zeitung und studierte die Aktienkurse.
Flynn stellte fest, dass er grinste.
Er hatte das Schwein bezwungen. Er hatte länger ausgehalten. Er musste hinter niemandem mehr herjagen, der Mistkerl würde von sich aus zu ihm kommen. Aber das konnte dauern, und Flynn hoffte, dass in der Zwischenzeit niemand anderes dran glauben musste.
Wie auch immer, es würde bald vorbei sein. Flynn legte sich wieder ins Bett, schlang seine Arme um Jessie Gray und schlief zum ersten Mal gut, seit dem Tag, an dem er gestorben war.
20
Mooney saß an seinem Schreibtisch in seinem ledernen Ohrensessel und hatte offenbar einen neuen Tick. Er strich seinen Zottelbart vom Hals weg, um ihn dann wieder glatt zu streifen. Vor und zurück, immer wieder. Und die ganze Zeit über bedachte er Flynn mit seinem fachmännischen Blick.
Flynn versuchte, alles zu ignorieren, was ihm an Mooney missfiel. Er zwang sich, einfach einen Menschen in ihm zu sehen, der ihm helfen konnte, etwas über den Schatten im Schnee herauszufinden.
Mooney schwieg. Die Stimmung war leicht unterkühlt, aber nicht hoffnungslos. Mooney freute sich, dass Flynn von sich aus wiedergekommen war. Von seiner anfänglichen, obszönen Faszination war diesmal nichts zu spüren.
»Ich werde Sie nicht bitten, sich hinzulegen«, begann Mooney.
»Gut, sehen Sie? Wir machen schon Fortschritte.«
»Wie ich sehe, tragen Sie heute Ihre Waffe.«
»Richtig.«
»Das behagt mir nicht.«
»Das kann ich Ihnen nicht verdenken«, erklärte Flynn, ohne Anstalten zu machen, den.38er abzuschnallen.
Wieder hielt er die Fingerspitzen aneinander und stützte das Kinn darauf. Flynn fragte sich, warum Mooney das offenbar als bequem und er selbst es als störend empfand. Warum ihn alles hier drinnen störte, sogar der Geruch der Lederpolitur. Jemand hatte es damit eindeutig übertrieben.
»Ich bin überrascht, Sie wiederzusehen«, erklärte Mooney.
»Und ich noch viel mehr.«
»Aber es freut mich, dass Sie versuchen, zur Wurzel Ihrer Probleme vorzudringen.«
»Um ehrlich zu sein, brauche ich Ihre Hilfe wegen etwas anderem.«
»Verstehe«, erwiderte Mooney. »Nun gut. Sie wirken zumindest weniger angespannt.«
»Ich weiß jetzt, dass ich ihn kriege.«
»Den Killer? Wie kommen Sie darauf?«
»Ich halte länger durch als er.«
Flynn erzählte ihm von den beiden Nachrichten und dem Anruf. Die Tatsache,
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