Schmerzlos: Thriller (German Edition)
zu scheuchen. Sie hatte zwanzig Jahre als Flugbegleiterin gearbeitet und war inzwischen im Management der Fluggesellschaft tätig, wo sie neue Angestellte ausbildete.
»Du bist aber früh dran.«
Sie hatte recht. Sechs Uhr morgens war für mich früh. Aber die Glock-Stressmanagement-Methode funktionierte nicht. »Ich kann vor lauter Nervosität nicht schlafen.«
»Oh ja, dieser Unmensch in China Lake. Ich kann es gar nicht glauben. Ceci und Kelly. Ich kann mich noch gut an die beiden erinnern.«
»Mom, ich glaube, der Killer hatte was mit Projekt South Star zu tun.«
In der Leitung wurde es still. Das kam mir bekannt vor.
Viel zu spät räusperte sie sich. »Wie bitte?«
»Der Mörder von Kelly und Ceci hat eventuell bei South Star mitgearbeitet. Ich habe bereits mit Dad darüber gesprochen.«
»Ach nein.«
»Und da wir gerade von ihm reden – pass auf, dass er nicht verschläft.«
»Wer? Phil?«
»Ich weiß, dass er gerade in der Nähe von San Francisco unterwegs ist.«
»Und deshalb soll er bei mir sein?« Sie gab ein empörtes Prusten von sich. »Das wäre ein Verstoß gegen unsere Abmachung.«
Keine gemeinsamen Übernachtungen auf amerikanischem Boden, mit Ausnahme von Hochzeiten in der Familie und dem Footballspiel Oklahoma gegen Nebraska. Ich schenkte mir eine Tasse Kaffee ein.
»Was hat er dir über South Star gesagt?«, fragte sie.
»Nicht viel. Ich nehme an, dass er dir erheblich mehr darüber erzählt hat. Deshalb rufe ich auch an.«
»Selbst wenn er das getan hätte, glaubst du wirklich, ich würde es dir verraten? Da hast du Pech gehabt.«
Angie und Phil Delaney. Sie waren zweiundzwanzig Jahre lang miteinander verheiratet gewesen, seit dreizehn Jahren geschieden und hielten zusammen wie Pech und Schwefel. Die beiden lebten fast fünftausend Kilometer voneinander entfernt, sprachen den Namen des anderen nur mit tiefster Verachtung in der Stimme aus und machten jedes Jahr zusammen Urlaub im Ausland. Das letzte Mal waren sie in Südafrika gewesen. Mom behandelte meinen Vater manchmal sehr rücksichtslos, doch gnade Gott dem, der auch nur ein schlechtes Wort über ihn sagte.
»Phil würde niemals seine Geheimhaltungspflicht verletzen und mit jemandem über eine Verschlusssache reden. Nicht mal mit einem Priester bei der Beichte und mit mir schon gar nicht.«
»Wie hast du dann von South Star erfahren?«
»Das könnte ich dich auch fragen.«
»Warum weichst du mir aus?«
In dem Moment, als ich das sagte, ahnte ich es auch schon. Meine Mutter hatte Angst. Mir ging es ja genauso. In der Leitung wurde es still.
»Evan, ich kann jetzt nicht darüber reden. Ich hab gleich ein Arbeitsfrühstück und muss aus dem Haus«, erklärte meine Mutter schließlich.
»Dann ruf mich heute Abend an, wenn du wieder zu Hause bist.«
»In Ordnung. Aber du hältst dich da raus. Versprich mir das.«
In diesem Augenblick wusste ich, dass sie mit meinem Vater gesprochen hatte. Halt dich da raus. Aber ja, Mom. Nichts einfacher als das.
Ich versprach es.
Coyote faltete die Zeitung zusammen. Die Meldung hatte es wie erwartet in den vorderen Teil der Los Angeles Time geschafft. Eine kleine Stadt, die von Morden heimgesucht wurde, war wie gemacht für die Nachrichtenhuren.
Er nippte an seinem Starbucks-Kaffee. Die Sonne war angenehm. Auf dem Sunset Boulevard herrschte heftiger Verkehr, und das kleine Einkaufszentrum war gedrängt voll. Leute stürzten mit ihren Sachen in die Reinigung oder schlangen ein schnelles Frühstück bei Burger King hinunter. Im Starbucks wimmelte es nur so von Immobilienmaklern, die über mögliche Abschlüsse redeten, und Drehbuchschreibern, die versuchten, ihr neuestes Werk an den Mann oder die Frau zu bringen. In ein paar Minuten würden die Teenager der Hollywood Highschool auf dem Weg in die Schule in das Café einfallen und sich ihren Koffeinschub abholen, ihren Treibstoff. Alle versuchten aufzuwachen, ihren Motor auf Touren zu bringen, ein Gespür für den Tag zu entwickeln, der ihnen mit einem Hammer auf den Kopf schlug. Alle arbeiteten verbissen daran, bei Bewusstsein zu bleiben.
Der Zeitungsartikel enthielt lediglich einige wenige Fakten, in die sich wilde Spekulationen mischten. Ein Verrückter, der Amok lief. Einheimische, die nach Mistgabeln griffen und das Monster verbrennen wollten. Von absichtlicher Desinformation im Grunde genommen nicht zu unterscheiden. Aber die Meldung hatte die Reporter angezogen wie ein Misthaufen die Fliegen, und daher war es Zeit geworden,
Weitere Kostenlose Bücher