Schmetterlingsspiegel (Keshevra's Queendom) (German Edition)
beruhigend und auf ihre Nerven. Bisher hatte sie gar nicht wirklich gemerkt, wie strapaziert diese durch die Erlebnisse der letzten Zeit waren. Aber die Entspannung tat ihr richtig gut. Die sanften heimatlichen Klänge aus dem Radio, Ethans dunkle Stimme, wie er leise mitsang, das Schnurren des Automotors, fast hatte sie das Gefühl in eine Trance zu sinken. Ihre Umgebung wirkte durchscheinend, als läge etwas dahinter, gerade außerhalb ihrer Reichweite. Ohne dass sie es merkte, streckte sie sich, drehte den Körper und machte sich lang – nur um in den Rückspiegel schauen zu können, ohne dass es auffiel. Ob da ein Schmetterling zu sehen wäre? Aber was würde Ethan denken, wenn sie von seinem Beifahrersitz einfach so verschwand? Der Gedanke ließ sie wieder in die Polster zurück sinken. Nein, das war keine gute Idee. So gern sie sich auch durch den Spiegel stürzen würde, am Ende würde er einen Unfall bauen vor Schreck, das wollte sie nicht auf ihrem Gewissen haben. Allein schon darüber nachzudenken war unfair ihrem Begleiter gegenüber, und so verbot sie sich jeden weiteren Gedanken in diese Richtung strengstens . Was war nur mit ihr los?
„Wollen wir hier anhalten und sehen, dass wir etwas zum Mittagessen finden?“ fragte Ethan eine Weile später und weckte Sabrìanna damit endgültig aus ihrer Versunkenheit. „Hm? Ja. Gute Idee, ich bin schon wieder ganz verhungert“, gab sie lächelnd zu. Rasant kurvte er auf den Parkplatz des Restaurants „The Golden Mile“. Dort gönnten sie sich eine Lasagne, mit extra viel Knoblauch natürlich und Essig zu den Pommes, in Irland die übliche Beilage für das scharfe italienische Gericht. Beim Essen redeten sie nicht viel, doch beim Kaffee respektive der heißen Schokolade danach fragte er sanft: „Du bist so schweigsam heute. Stimmt etwas nicht?“ Ertappt sah Sabrìanna ihn an. „Merkt man das? Tut mir leid, ich… bin in Gedanken irgendwie ganz woanders.“ Ethan schmunzelte amüsiert und wollte ohne Vorwurf in der Stimme wissen: „Wo bist du denn, wenn du nicht auf dem Ring of Kerry bist?“ „Ich bin schon hier. Nur nicht… jetzt irgendwie.“ Das klang wirr. Aber in ihrem Kopf ging es auch wirr zu, und sie konnte ihm ja wohl schlecht gestehen, dass sie in seiner Gegenwart die ganze Zeit an einen Drachen denken musste. Einen Drachen! Also wirklich, dann würde er sie endgültig für verrückt halten und abschreiben. Ganz abgesehen davon, dass es ein gemeiner Schlag gegen sein Ego wäre. Welcher Mann kann schon mit einem Drachen konkurrieren? Wie kam sie überhaupt dazu, die beiden zu vergleichen, gegeneinander aufzuwiegen? Lächerlich. Sie verhielt sich schlichtweg lächerlich und zudem genau wie die Art von Frauen, über die sie sich in Filmen immer so aufregte. Um von ihrem schlechten Gewissen abzulenken, plapperte sie ohne nachzudenken: „Ich lese in letzter Zeit sehr viel. Über die Legenden und alten Mythen… über die Wesen, die Irland früher angeblich bevölkert haben. Man fragt sich ja, wo die alle hin verschwunden sind. Oder ob man ihnen nicht doch vielleicht noch begegnen kann, wenn man aufgeschlossen ist?“ Sie sah ihn hoffnungsvoll an, vielleicht würde er sie ja verstehen, vielleicht könnten sie ganz unverbindlich darüber reden, und er könnte ihr helfen, sich nicht so „durchgeknallt“ zu fühlen, so von der Realität abgehoben.
Eine Sekunde schien es, als würde etwas in seinen Augen aufblitzen, Verständnis, Erleichterung, Freude? Doch dann war es weg, verschwunden, als wäre es nie da gewesen, und stattdessen verzog er das Gesicht. „Ach Quatsch. Sich so etwas überhaupt vorzustellen... Meinst du nicht, dass das alles nur erfunden ist? Glaubst du wirklich, früher hätte man Leprechauns am Ende eines Regenbogens angetroffen? Mit Töpfen voller Gold?“ Sabrìanna starrte ihn schockiert an. Es war ja okay, dass er selbst nicht an so etwas glaubte, aber musste er sie deswegen so angehen? Sie kam sich ja vor, als hätte sie etwas verbrochen mit ihrer Vermutung. „Nein. Wohl eher nicht“, antwortete sie, mehr auf ihre innerliche Frage als auf seine. Sie drehte den Kopf und sah aus dem Fenster, das Restaurant hatte einen herrlichen Blick aufs Meer, aber sie sah es nicht, kämpfte mit ihrer Enttäuschung. Da war er ja: Der Beweis, dass Ethan doch nicht so perfekt war. Auch nur ein Mann. Warum traf sie das nur so tief? Gerade hatte sie noch festgestellt, dass sie gar nicht wirklich bei ihm war, wenn sie bei ihm war.
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