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Schmidt Liest Proust

Schmidt Liest Proust

Titel: Schmidt Liest Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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Supermarktkassen als Einpacker arbeiten, sollen besonders gerne runde und glatte Gegenstände anfassen, weshalb sie immer als erstes nach den Tomaten greifen und sie ganz nach unten packen.
    Die nordkoreanische Regierung hat festgestellt, daß lange Haare die Gehirnaktivität behindern, weil sie den Nerven Sauerstoff entziehen. Man muß den unberechenbaren, im Grunde literarischen Einfallsreichtum von Diktatoren bestaunen.
    In der Kaufhalle die Betreiberin vom Copy-Shop gesehen und kurz überlegt, ob ich sie um ein Autogramm bitten soll, schließlich ist sie ja so eine Art Prominente in unserer Gegend.
    Nachmittags im Puppentheater, wo »Die drei Schweinchen« gegeben werden. Der Erzähler hebt an: »Wir werden heute das Märchen von den drei Schweinchen und dem Wolf hören.« Daraufhin fängt ein Kind an zu heulen und muß rausgetragen werden. Ob die Eltern sauer sind, weil das Eintrittsgeld verschwendet wurde? Die Wirkung des Stücks hätte ja die des Titels kaum übertreffen können.
    Gegenüber vom Café steht ein Vietnamese. Überlege, ob er sich freuen würde, wenn ich ihm zeige, daß in der Zeitung etwas über Asien steht.
    Nachdem ich meine Notizen übertragen habe, fühle ich mich sofort besser, als wären Gedanken Geschwüre, die man sich rausoperieren muß. Und ich dachte schon, das Fertig-Sushi von Extra sei abgelaufen gewesen. Manchmal, wenn mir auffällt, daß ich schon seit einer Weile völlig beschwerdefrei bin, weine ich vor Rührung und muß aus dem Café getragen werden. Vielleicht haben meine Nerven zuwenig Sauerstoff, weil mir überall Haare wachsen? Wie auch immer: Ich würde keinen Fremden in diesen Körper lassen, er würde unter den dort herrschenden Bedingungen zugrunde gehen. Man muß schon dazu geschaffen sein, es hier drinnen auszuhalten. Alles, was ich tun kann, um mir etwas Trost zu verschaffen, ist, von Zeit zu Zeit eine Tomate zu streicheln.
    Sodom und Gomorra, S. 150–171
    Die Prinzessin von Guermantes: » Ich finde, daß eine Frau, die sich in einen Mann von Palamèdes außerordentlichen Qualitäten verliebt, die Dinge von einer genügend hohen Warte ansehen und hinlängliche Ergebenheit beweisen sollte, um ihn im ganzen hinzunehmen und zu verstehen, so wie er ist, seine Freiheiten und seine Launen zu respektieren und einzig zu versuchen, alle Schwierigkeiten für ihn aus dem Wege zu räumen und in seinem Kummer zu trösten. «
    Den Satz werde ich mit Draht in eine Holzscheibe brennen und mir um den Hals hängen, bis die Richtige anbeißt.
    Den Herzog freut, daß sein Bruder Charlus so nett mit seiner Geliebten, Madame de Surgis, geplaudert hat. Er wird kurzzeitig von Rührung übermannt und lobt ihn, » ebenso wie man in der Absicht, für die Zukunft heilsame Gedächtnisassoziationen zu schaffen, einem Hund Zucker gibt, nachdem er ›schön gemacht‹ hat «. Er ahnt ja nicht, daß Charlus nur einen Weg gesucht hatte, an die beiden prächtigen Söhne der Madame zu kommen. Was würde ich davon halten, wenn mein Bruder die Tochter meiner Geliebten verführt? Und würde es etwas ändern, wenn er nur ihren Sohn verführen würde?
    Endlich verlassen wir mit Herzog, Herzogin und Marcel diese öde Soiree, nur noch die Treppe gilt es hinabzusteigen und dann schnell in den Wagen, man muß ja zum Glück nicht erst die Mäntel aus dem Jackenhaufen im Flur vorkramen und sich durch die Schlange der vor dem Klo wartenden Betrunkenen zur Haustür drängeln, man muß auch nicht befürchten, jemand könnte die Flasche »Le Patron« im Rucksack bemerken – die man vorhin in weiser Voraussicht noch nicht ausgepackt hatte, es war ja genug zu trinken da –, nein, damals war das Leben noch unkomplizierter: » Es wurde gemeldet, daß der Wagen vorgefahren sei. «
    Nur noch eine letzte Madame müssen wir auf der Treppe abfertigen, eine, die, nachdem sie jahrelang nicht zur Prinzessin eingeladen worden ist, nunmehr stets so spät kommt, um sich den Anschein zu geben, auf die Soiree keinen Wert zu legen und lediglich zu erscheinen, um zu einem Zeitpunkt, da die meisten Eingeladenen schon gegangen sind, den Gastgebern einen Besuch abzustatten. Auch sie hat von Oriane bestimmte Phrasen übernommen, versetzt sie aber » mit ihrer natürlichen Sanftmut und einem Ausdruck der Aufrichtigkeit […], den ein gewisser kraftvoller, von ferne an deutsche Provenienz gemahnender Einschlag ihrer zärtlichen Stimme gab «. Aufrichtigkeit, dafür stehen wir also im französischen Roman.
    Im Wagen gelten Marcels Gedanken

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