Schmidt Liest Proust
»Landmaschinenkunde«, ein Buch aus den Zwanzigern, und Fachwortschatz ist ja für einen Autor auch so etwas wie Urlaub: Glockengöpel, Sielengeschirr, Schwungkugelregler, Klauenkupplung, Rübenköpfer Siedersleben, Zentralschmierapparat mit Tropfölern, Staufferbuchse, Schmierpumpe, Vorgelege mit Riemenausrücker, Stotzsche Stahlbolzenkette, Dibbelmaschine, Dauermilcherhitzer, Ringschmierlager, Fuderablader, Haspelheuwender, Hordentrocknung, Ölkuchenbrecher, Schwingschüttler, Pommritzer Rübenrodepflug, Hederichspritze, exzentrisches Planetengetriebe, Auflöseapparat, Kettendüngerstreuer mit Streudüngerkette, Tiefkrümelpflug, Entleerungsstellung …
Man atmet richtig auf. Die deutsche Sprache kann so viel mehr, als meine Seele zu beschreiben.
Aber wenn man dann Sätze liest, wie: » Da die Streuwelle den Dünger nicht immer sicher durch den unter ihr liegenden Schlitz hindurchschiebt «, wird einem plötzlich der Subtext klar. » Von der Bodenwalze wird der Dünger unterhalb des Streuschlitzes durch einen straff gespannten, starken Draht abgestreift und der noch haftende Rest durch eine angeschärfte Messerschiene entfernt. Damit sich die Lage der Rührwelle zum Schlitz nicht verändert, wird der Stellschieber nicht geradlinig verschoben, sondern um die Rührwelle geschwenkt. « Wer fünfhundert Seiten in diesem Stil schreibt, der dürfte eine gewaltige sexuelle Sublimierungsleistung vollbracht haben. Offensichtlich hat Gustav Fischer keine glückliche Ehe geführt. Diese Landmaschinenkunde ist in Wirklichkeit nichts als ein rührender Schrei nach Liebe: »Jedesmal, wenn ich das Sielengeschirr anlege und in Entleerungsstellung gehe, kommt dieser Fuderablader mit seinem Glockengöpel und führt sich auf wie eine Dibbelmaschine. Das nächste Mal kriegt er es mit meiner Stotzschen Stahlbolzenkette zu tun! Ich bin ein exzentrisches Planetengetriebe und kein Ringschmierlager für seinen Schwingschüttler! Der wird sich wundern, wie schnell aus einem Dauermilcherhitzer ein Rübenköpfer wird!«
Sodom und Gomorra, S. 413–435
Soll man in Albertine verliebt sein oder nicht? Die Frage muß man sich immer dazudenken, denn sie geht Marcel vermutlich nicht aus dem Kopf, auch wenn er nicht darüber spricht. Die Mutter würde diese Bindung begrüßen, wenn sie ihn glücklich macht. Aber genau das macht ihn unglücklich, wie schon damals, als der Vater sich so überraschend einverstanden erklärte, ihn ins Theater gehen und Literat werden zu lassen. Plötzlich war er selbst für sein Schicksal verantwortlich und spürte » die gewisse Schwermut, die einen überfällt, wenn man nicht länger Befehlen gehorcht, die von einem Tag zum anderen die Zukunft verdecken «. Vielleicht hätte er sich in Nordkorea ja wohler gefühlt, wo es nie an Befehlen mangelt, die einem die Zukunft verdecken.
Professor Brichot, einer von Madame Verdurins Getreuen, die sie » meine Kinder « nennt, kommt nach seinen Ausführungen zu den Ortsnamen nun auch auf die Etymologie der Personennamen zu sprechen. In vielen Familiennamen stecke ein Baum, wie etwa in Freycinet »fraxinetum«, die Esche. Da wir nicht mehr im neunzehnten Jahrhundert leben, dürfen wir es uns erlauben, den Monolog in Form einer Liste abzukürzen:
Saulces – salix – Weide
Selves – silva – Wald
Houssaye – Stechpalme
d’Ormesson – Ulme
La Boulaye – Birke
d’Aunay – Erle
Bussière – Buchsbaum
Albaret – Splint (helles, junges Holz)
Cholet – Kohl
La Pommeraye – Apfelbaum
Ein berühmter norwegischer Philosoph ist übrigens auch zugegen, wurde aber bisher noch nicht erwähnt. Er spricht wie viele Ausländer sehr langsam, weil er » bei jedem Ausdruck ein inneres Wörterbuch zu Rate ziehen mußte «. Dafür zeichnet er sich durch das Tempo aus, mit dem er sich immer davonmacht, nachdem er Adieu gesagt hat: » Seine überstürzte Eile rief beim ersten Mal den Eindruck hervor, er leide an einer Kolik oder einem noch dringenderen Bedürfnis. «
Die Beschreibung des Abends läuft so ein bißchen wie in »Short Cuts«, Schnitt folgt auf Schnitt. Jetzt erfährt Cottard von Ski, daß Charlus » einer von der Bruderschaft « ist, » der das Leben auch von der anderen Seite kennt «. Aber Cottard konstatiert: » Immerhin hat er keine Speckröllchen um die Augen. « Die Geschichte der Vorurteile ist um eine interessante Unterstellung reicher.
Saniette läßt man konsequent auflaufen, man braucht ihn ja nur, um ihn zu quälen. Wenn er einmal einen halbwegs
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