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Schmidt Liest Proust

Schmidt Liest Proust

Titel: Schmidt Liest Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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meinen, das Geld.« Der Saal tobt.
    Meine Pankowerin tanzt auf der Bühne, und ich bin sprachlos vor Bewunderung, zögere aber, sie zu filmen, weil mir diese Aufnahmen eines Tages, sollte ich wirklich kein Glück bei ihr haben, wehtun könnten.
    Sodom und Gomorra, S. 477–498
    Das dritte Kapitel des Bandes beginnt mit: » Ich fiel um vor Müdigkeit «, ein Satz, mit dem jedes Kapitel beginnen sollte. Wieder ein guter Titel für meine Memoiren.
    Manchmal fragt man sich, ob man sich zuviel dazudenkt oder im Gegenteil zu harmlos ist. Der schielende Page erzählt von seiner Schwester, » witzig ist sie auch . Nie verläßt sie ein Hotel, ohne daß sie dem Zimmermädchen, das hinterher aufräumen muß, in einem Schrank oder einer Kommode ein duftendes Andenken hinterlassen hat «. Eben will ich mich genüßlich über die Stelle hermachen und böswillig eine skatologische Anspielung herauslesen, aber dann geht es weiter: » Manchmal macht sie das sogar in einem Wagen, nachdem sie die Fahrt bezahlt hat; dann versteckt sie sich in einer Ecke und lacht sich tot, wenn der Kutscher tobt, weil er noch einmal von vorn anfangen muß, seine Kutsche zu waschen. « Also was nun? Scheißt sie wirklich in Hotels und Autos?
    Diese Schwester hat einen reichen Liebhaber gefunden und würde es deshalb bedauern, wenn es keine Armen mehr gäbe: » ›[…] damit ich, jetzt, wo ich reich bin, sie gelegentlich ansch… kann.‹« Fortschrittlich sind natürlich immer nur die Reichen, die anderen wollen nicht die Verhältnisse ändern, sondern lediglich selbst zu ihren Nutznießern gehören.
    Zurück von La Raspelière ist Marcel immer müde, » ich trat dann in den Schlaf ein, der wie eine zweite Wohnung ist, über die wir verfügen und in die wir, nachdem wir die erste verlassen, uns für die Nacht begeben «. Und mitten in den Überlegungen über die verschiedenen Arten des Aufwachens und darüber, daß man kurz danach zwar noch seinen Plotin kenne, aber noch nicht » das Vermögen, in kleinen Dingen zu handeln « wiedererlangt habe, heißt es: » [I]ch selber bürge dafür, ich, das seltsame Wesen, das, während es darauf wartet, daß der Tod es erlöst, bei geschlossenen Fensterläden, abgeschieden von der Welt, unbeweglich wie eine Eule lebt und wie jene einigermaßen klar nur im Dunkel sieht. « Ein verstörender Einschub, plötzlich meldet sich der Autor zu Wort. Als würde ein Monitor eingeschaltet, auf dem man ihn bei der Arbeit sieht, wie sich in »The Rocky Horror Picture Show« immer dieser Mann einmischt, um die Tanzschritte zu erklären.
    Alte Verwicklungen klären sich auf, Charlus war also beim letzten Aufenthalt in Balbec hinter dem Oberkellner Aimé hergewesen. Marcel zitiert einen Brief, den Aimé von Charlus erhalten und nicht verstanden hat. Darf man in seinen Romanen aus fremder Post zitieren? Jedenfalls bedient sich Charlus einer riskanten Liebesbrieftechnik, indem er gleich am Anfang verrät, » daß mir beim ersten Mal, als ich Sie in Balbec bemerkte, Ihr Gesicht schlechthin unsympathisch war «. Aber dann habe er an ihm eine Ähnlichkeit mit einem verstorbenen Freund bemerkt, und die » brachte sogar die unerträgliche Ausbildung ihrer Kinnpartie […] zum Verschwinden «. Das soll man mal einer Frau sagen: Du erinnerst mich so sehr an eine andere, die mir sehr nah war, daß du mir gar nicht mehr so häßlich vorkommst, wie du bist.
    Aimé ist » ein wenig gealtert bereits durch den reichlichen Genuß von Champagner und der Stunde nicht mehr fern, da der Brunnen von Contrexéville notwendigerweise dessen Stelle werden einnehmen müssen «. Contrex bekam Herr Tatziet immer kistenweise aus dem Westen geschickt, es stand im Keller, und wir durften die Flaschen nicht anrühren. Ich hoffte immer, das heilsame Westwasser würde ihn wieder rüstiger machen.
    Albertine malt und sucht sich dafür eine abgelegene Kirche, zu der Marcel sie im Wagen begleitet. Aber dort angekommen, fühlt er sich außerstande, das Gelände mit ihr zusammen zu besichtigen. Vergnügen empfindet er » angesichts von schönen Dingen nur, wenn ich allein war, oder mich verhielt, als ob ich es sei, das heißt schwieg «. Aber hinterher schreibt man dann umso flotter.
    Verlorene Praxis:
    – Eine richtige Dame werden und Spanisch sprechen.
    – Einen gewissen Stolz dareinsetzen, Fragen nicht zu beachten und geradeaus seinen Weg fortzusetzen.
    – Die Plebejer duzen, ohne sich ihnen vorgestellt zu haben.
    113 . Sa, 11.11., Berlin
    Wecken, Joghurtmüsli

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