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Schmidt Liest Proust

Schmidt Liest Proust

Titel: Schmidt Liest Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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gab nämlich verschiedene, von schwach bis äußerst stark. Wie schlimm es denn sei, fragte sie und vermied das böse Wort »Depression«. »Das ist es gar nicht«, sagte ich lächelnd, wie ein Alkoholiker, der noch nicht zu seiner Krankheit steht. Aber wofür dann das Johanniskraut? »Ja, ich weiß auch nicht, eigentlich kam der Tip von meiner Mutter.« »Die kleinere Dosierung reicht eigentlich bei normalen Herbstdepressionen.« »Die hab ich ja gar nicht, das soll gegen Liebeskummer sein.« Sie ließ sich nichts anmerken und nahm eine fast noch diskretere Haltung an als sonst, wenn ich Perenterol, Immodium und Tannacomp kaufe.
    Eigentlich war mir das Mittel ja viel zu teuer, 35 Euro für 60 Pastillen, und die Wirkung stellt sich erst nach drei Wochen ein. Die geringere Dosierung war etwas billiger, aber als ich ihr verraten hatte, worunter ich leide, pochte sie mit dem Finger auf die Baldrian-Dispert-Packung, das sei schon das Richtige. Mir fiel im übrigen auf, daß es nicht so schlimm um mich bestellt sein kann, wenn ich bei meinen Heilmitteln noch um den Preis feilsche.
    Die nette junge Dame hat mir dann noch unbemerkt ein ausgleichendes »Bagno effervescente aromatico« mit Lavendelgeruch dazugesteckt und ein »Gute-Nacht-Einschlaf-Tuch« mit ätherischen Ölen. »Anwendung: Legen Sie das getränkte Tuch vor dem Schlafengehen auf die Brust oder befestigen Sie es am Hemd.« Und so lag ich wenig später statt mit einer duftenden Frau im Arm mit einem stinkenden Tuch auf der Brust im Bett und wartete auf den auf der Packung versprochenen »erholsamen Schlaf«.
    Die Gefangene, S. 109–130
    Eifersucht, wie wenig es doch dazu braucht: » Eine Frau aber, die uns während einer gewissen Zeit gesagt hat, wir seien alles für sie, ohne daß sie dabei auch alles für uns gewesen wäre, eine Frau, die wir mit Vergnügen sehen, küssen, auf unseren Knien halten, versetzt uns in größtes Erstaunen, wenn wir auch nur an einem plötzlichen Widerstand spüren, daß wir nicht ganz und gar über sie verfügen. « Am besten man ist ganz unsensibel für ihre Regungen, dann hat man auch keinen Ärger, außer, daß sie einen irgendwann aus heiterem Himmel verläßt. Aber bis dahin hatte man ein ruhiges Leben.
    » Die Enttäuschung weckt dann manchmal in uns die vergessene Erinnerung an eine frühere Angst, von der wir gleichwohl wissen, daß sie nicht durch diese, sondern durch andere Frauen hervorgerufen worden war, deren treulose Handlungen sich in unserer Vergangenheit aneinanderreihen. « Und die jetzige muß dann stellvertretend für alle vorigen büßen. Nicht mehr lange, und wir werden » selber List anwenden und uns hassenswert machen «.
    Noch einmal wird über das Telefon nachgedacht und die Frage gestellt, warum die Salonmaler nicht statt Bildern wie »Am Spinett« Szenen in der Art von »Am Telephon« malen. Marcel ruft Andrée an und schweigt eine Weile, bis das Telefonfräulein sagt, daß sie die Verbindung trennen wird, wenn er nichts sagen will. Das waren noch Zeiten, als die Telefonfräulein mitgehört haben. Heute könnte man tagelang Anrufe führen, ohne ein Wort zu sagen, der Telefongesellschaft ist das ganz gleich. Es ist doch eigentlich eine Frechheit, daß der Tarif nach Zeittakt berechnet wird und nicht nach der Bedeutung des Besprochenen. Ein denkbares System wäre, für banale Gespräche, die es in großen Stückzahlen gibt, Rabatt einzuführen oder solche zu subventionieren, die von Interesse für die Allgemeinheit sind. Auf jeden Fall müßte jedes Gespräch von einem hochqualifizierten Telefonfräulein mitgehört werden, das darüber entscheidet, was es kosten soll und ob man es fortsetzen darf.
    Und noch etwas Technikgeschichte, die » an mythologische Vorzeiten erinnernde Begegnung mit einem Flieger, bei der mein Pferd gescheut hatte« (aus dem vorigen Band), war nur die Ankündigung eines ganz neuen Wirtschaftszweigs gewesen: Inzwischen sind » rings um Paris Flugzeughallen entstanden «, und seltsamerweise wird gerade für solche Menschen, die das Meer lieben, das » Herumbummeln an der Peripherie von Luftlandeplätzen « zu einem – heute undenkbaren – Freizeitvergnügen.
    Aber zurück zum Menschen und seinem Elend. » Ich glaube wirklich, daß ich an diesem Tage soweit war, unsere Trennung zu beschließen und nach Venedig zu reisen. « Was ihn aber wieder an sie » kettete «, ist die Entdeckung einer kleinen Lüge aus Balbec. Bei Proust wird die Liebe nämlich ausdrücklich aus der Lüge

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