Schmidt Liest Proust
teilzunehmen. So eine Ausrede hört wohl kein Liebhaber gerne.
Selbständig lebensfähige Sentenz:
– » Eine halbe Stunde darauf läutete das Telephon, und in meinem Herzen erhob sich ein Tumult von Hoffnung und von Angst. «
Nichts läutet, das Nichts läutet.
130 . Fr, 1.12., Berlin
Meine Beraterinnen sind sich nicht einig, welche Politik in meinem Fall zum Erfolg führen könnte. »Wenn man was will, hat man das Recht, sich zum Klops zu machen«, »Sich mit Absicht nicht mehr melden, so was steht doch nur in alten Mädchenhandbüchern«, »Hak sie ab«. Das Gute ist, daß man ja tatsächlich keinen Einfluß hat, weil man es Menschen, bei denen man im richtigen Moment das Richtige tun muß, auch in Zukunft nie recht machen würde. Man müßte ja auch eigentlich, statt in Kontaktforen Profile zu verfassen, Geruchsproben versenden, wenn der Geruch tatsächlich so entscheidend ist.
An größere Zusammenhänge zu glauben, ist ein paranoider Zug. Aber es gibt faszinierende Zufälle. Man hält es tagelang durch, sich nicht zu melden, und dann trifft man sich zum ersten Mal zufällig, an einer Stelle, an der man einmal in der Woche vorbeikommt auf dem Weg zum Stadion, noch dazu rasend schnell auf dem Fahrrad. Sie hat Bastelzeug für Weihnachtsgeschenke gekauft und sieht traurig aus. Ich soll sie umarmen. Danach geht sie, ohne sich noch einmal umzudrehen, nach Hause. Immer noch kann sie mir beim Abschied nicht sagen, wann wir uns wiedersehen werden. Ich bin danach die drittschnellste Zehn-Kilometer-Zeit meines Lebens gelaufen. Das brachte mich nach dem Zieleinlauf für ungefähr dreißig Sekunden auf andere Gedanken.
Die Gefangene, S. 194–215
Er sitzt mit ihr im Auto und bedauert, daß er nicht halten kann, um sich eine junge Obsthändlerin, ein Milchmädchen, die an der Kasse stehende Tochter des Weinhändlers oder eine Wäscherin näher anzusehen, die alle » allein durch mein Verlangen in köstliche Abenteuer verstrickt, gleichsam an der Schwelle eines Romans zu stehen schienen, den ich niemals kennenlernen würde «. Das Problem des modernen Menschen, die paralysierende Vielfalt der Optionen. Und jede für sich ist unwiderstehlich! » Wir waren jetzt in volkstümlichere Viertel gelangt, in denen das Standbild einer ›dienenden Venus‹ jeden einzelnen Ladentisch zu einem suburbanen Altar umschuf, vor dem ich gern mein Leben hätte verbringen mögen. « Möglicherweise ist sein Beziehungsmodell auch einfach zu konservativ: » Wie man es am Vorabend seines vorzeitigen Todes macht, stellte ich bei mir die Liste der Vergnügungen auf, die mir dadurch vorenthalten wurden, daß Albertine einen Schlußpunkt hinter meine Freiheit setzte. « Vielleicht hätte sie ja gar nichts dagegen, wenn er einmal in der Woche mit den Kumpels Skat spielt oder am Wochenende im Keller Balsaholzflugzeugmodelle bastelt, wenn sie ihn liebt, wird sie das schon verstehen.
» Wer den Wunsch weiterzuleben und den Glauben an etwas, was köstlicher ist als die gewohnten Dinge, in sich unterhalten will, muß spazierengehen, denn Straßen und Avenuen wimmeln von Göttinnen. « Nur Pech, wenn man in Nienburg oder Nauen lebt, dann sind die Straßen und Avenuen nicht ganz so dicht von Göttinnen bevölkert.
Eigentlich scheitert Proust immer wieder an denselben Aporien, die bis heute in jeder Liebeskomödie verhandelt werden: » Man findet harmlos, daß man selbst nach etwas verlangt, aber unerträglich, daß ein anderer es tut. « Wenn ich das richtig verstanden habe, sieht Houellebecq ja in Swingerclubs einen Ausweg aus diesem Dilemma.
Und nun kommen wir zu einem Kernsatz, den man sich in einen Wandteppich weben kann: » Die Wesen aber, die uns nicht verstehen, sind die einzigen, bei denen es für uns von Nutzen sein kann, ein Prestige zu wahren, das bei höher gearteten Menschen schon unsere Intelligenz uns verschafft. « Am besten man lernt das auswendig und sagt es sich auf, wenn man das nächste Mal zu einem beruflichen Termin muß.
Heute geht es kreuz und quer: » [D]as Mißgeschick eines entflammten Liebhabers besteht darin, daß er sich nicht darüber klar ist, wie, während er ein schönes Gesicht vor sich sieht, seine Geliebte nur das seine vor sich hat, das nicht schöner, sondern ganz im Gegenteil von der Lust entstellt wird, welche der Anblick der Schönheit in ihm erregt. « Das ist auch das Mißgeschick des enthemmten Gelegenheitstänzers, der meint, seine Losgelöstheit von den Fesseln der Selbstkontrolle würde ihn schöner
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