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Schmidt Liest Proust

Schmidt Liest Proust

Titel: Schmidt Liest Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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Kinder mit Büchern langweilen, die speziell für sie geschrieben sind «. Das Volk, von dem er spricht, ist inzwischen aber leider auch nicht mehr dasselbe.
    Traurig, die auf ihre Gelehrsamkeit beschränkten Künstler, die nicht auf ihre Instinkte hören. » Diese eigenwilligen und unfruchtbaren Abenteurer sollten uns rühren wie die ersten Flugzeuge, die noch nicht die Erde verlassen konnte, denen zwar das geheime, noch unentdeckte Mittel fehlte, doch das Verlangen des Fliegens schon innewohnte. « Aber sollen denn alle wie Proust vorgehen? Wer sollte die ganzen Bücher lesen, die dabei entstehen? Vielleicht war er ja ein Vorläufer der Popularisierung der Psychoanalyse und des autobiographischen Romans?
    Eines hat sich bis heute nicht geändert: » Man zog einem Bergotte, dessen gefälligste Sätze in Wirklichkeit eine viel tiefere Selbsteinkehr erfordert hatten, Schriftsteller vor, die tiefer schienen einfach deshalb, weil sie nicht so gut schrieben. « Die Themen werden von den Romanschriftstellern überschätzt, es geht um den Stil, der » seine Art zu sehen « ist. Um den zu finden, muß man die » Windstille des Glücks « verlassen. Man muß vielleicht auch das Leben verlassen, aber sie bedeutet keine Verarmung, » jene Wirklichkeit, deren wahre Kenntnis wir vielleicht bis zu unserem Tode versäumen und die doch ganz einfach unser Leben ist. Das wahre Leben, das endlich entdeckte und aufgehellte, das einzige infolgedessen von uns wahrhaft gelebte Leben, ist die Literatur «. Wie sollte er auch etwas anderes sagen, wenn er kein anderes Leben hatte?
    Und jetzt begreift Marcel endlich, warum er nie ein Thema für seine Bücher finden konnte, nicht etwa, weil er ein zerstreutes und unbedeutendes Leben geführt hat, sondern weil, ganz gleich wie es ausgesehen hat, das Material seines Werks sein Leben ist.
    Unklares Inventar:
    – Schüler Foucquets, peremptorischer Ton, Selbstkritik im Geiste Port-Royals.
    174 . Fr, 19.1., Berlin
    Mein gieriges Interesse an Kriegsfilmen, natürlich kann ich es mir nur leisten, weil ich nie einen Krieg erleben mußte. Menschen, die wirklich darunter gelitten haben, sehen sich das vielleicht nicht an. Im Moment scheint mir, daß mir auf ähnliche Weise mein Vergnügen an französischen Eifersuchtsdramen abhanden kommen könnte. Meistens spielt darin Romy Schneider eine Frau, der ihr Mann nicht genügt und die deshalb manchmal nächtelang zu kürzlich wieder aufgetauchten Ex-Freunden verschwindet, um anschließend kommentarlos wieder in der Wohnung zu erscheinen. Oder »La piscine«, wo sie mit Alain Delon einen Glutsommer in einem Haus im Süden Frankreichs verbringt. Schon wie sie ohne weiteres das Geturtel abbricht, um zum Telefon zu eilen und aufblüht, als ihr reicher Ex-Mann am Apparat ist, den sie natürlich sofort einlädt, ihnen für ein paar Tage Gesellschaft zu leisten. Und wie sich bei seinem Eintreffen schon in der ersten Sekunde in den kleinsten Gesten der unvermeidliche Verrat ankündigt. Vielleicht weiß sie es ja tatsächlich selbst in dem Moment noch gar nicht, das sagen sie ja immer hinterher. Sie braucht einfach etwas Unbestimmbares im Leben. Trotz aller Beteuerungen liegt man doch am Ende immer richtig mit eifersüchtigen Vermutungen und leider beschleunigt man dadurch auch noch den Gang der Dinge. Alain, der Versager, dem sein einziges Buch mißglückt ist, ein Selbstmordversuch schon mit achtzehn. Bevor er Romys Ex-Mann umbringt, rät dieser ihm: Versuch nicht deine Umwelt zu verändern, ändere dich.
    Oder Madame Bovary, dieses gelangweilte Miststück, mit dem ich mich immer identifiziert habe, weil sie für den an der Dumpfheit seiner Umgebung leidenden Künstler zu stehen schien. Aber mit einem Grafen aus der Nachbarschaft anzubandeln! Oder dieses anstrengende Scheusal aus »Das Piano« … Immer sind es treusorgende, einfältige Ehemänner, die ihren nach Höherem strebenden Frauen auf die Nerven gehen. Und selbst bei »Ironia sudbij«, dem sowjetischen Silvesterklassiker, den ich jedes Jahr sehe, identifiziere ich mich plötzlich mit dem biederen, betrogenen Bräutigam, der anfangs noch völlig übertrieben zu reagieren scheint, als er am Silvesterabend einen Fremden in der Neubauwohnung seiner Zukünftigen antrifft, der dort aber nur sturzbetrunken gelandet war, weil sein Schlüssel zufällig paßte. Der Bräutigam glaubt seiner Braut nicht, daß sie den Fremden ja aus der Wohnung schmeißen wollte, was ihr nicht gelungen war. Am Ende kriegen sich

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