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Schmidt Liest Proust

Schmidt Liest Proust

Titel: Schmidt Liest Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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Berma.
    Unklares Inventar:
    – Lakaien, von Potel & Chabot vermittelt. Etwas bei Bernheim junior erstehen.
    172 . Mi, 17.1., Berlin
    Die Welt der Kneipengespräche, von der ich aufgrund meiner angeborenen Alkoholunverträglichkeit immer weitgehend ausgeschlossen geblieben bin. Ich weiß zwar inzwischen, daß man zum Gruß auf den Tisch klopfen muß, aber ich mache es sicher trotzdem irgendwie falsch. (Einmal? Zweimal?) Außerdem müßte ich ständig aufs Klo, um mir heimlich Notizen zu machen, wenn Formulierungen fallen, wie: »So bremst der Hase!« (Im Sinne von: »Da gibt’s nichts zu diskutieren!«) Man kann ihnen nichts vormachen. Sie haben ein genaues Ohr für den richtigen Ton.
    Die Freude am mot juste , wenn man über seine Vergangenheit schreibt, kann schnell esoterisch werden, weil die damalige Sprache außer für einen selbst ausgestorben ist. Manchmal fallen mir Wörter ein, die ich als Kind benutzt habe (»kafietsche«, »funktionopelt«, »Erbsenkatschie«, »Zuckersand«), allein die Wirkung von »geheim-«, das einem alles veredelte. Ein »Geheimfach« war etwas ganz anderes als ein gewöhnliches Fach, ebenso »Geheimtinte«, »Geheimversteck«, »Das ist geheim!« Das Gefühl, das sich mit Wörtern verbindet, und das man nicht kommunizieren kann, wenn man sie nicht von damals kennt. Übersetzen dürfte unmöglich sein. Es hat mich immer viel zu sehr behindert, bei ausländischen Freundinnen nicht berlinern zu können. Ich sammle seit einer Weile Wörter, bei denen ich noch weiß, wann ich sie zum ersten Mal gehört habe:
    – »Bestseller« stand auf der Banderole eines Buchs von Thor Heyerdahl, das im Schlafzimmer meiner Eltern lag. Ich habe lange an dem Wort herumgerätselt und einen Druckfehler vermutet, weil es doch eigentlich »Besteller« heißen müßte. Sicher habe ich mir den Moment und wie das Schlafzimmer damals aussah nur wegen dieser Irritation gemerkt.
    – »Du hast doch ne Macke«, hat ein auf einem Klettergerüst sitzendes dunkelhäutiges Mädchen zu einem Jungen gesagt, als wir einmal auf einem Spielplatz im Tierpark waren.
    – »Ditt is urst«, hat mein Bruder gesagt, als wir auf dem Forckenbeckplatz mit aus Stöcken gebauten Gewehren Tiefflieger abschossen. Wobei ich dachte, daß es sich bei dem Stoffetzen, den er und seine Freunde sich zur Tarnung an ihre Gewehrläufe gebunden hatten, um dieses »Urst« handelte.
    – »Ditt macht Lunte«, hat am ersten Tag im Ferienlager »Schneckenmühle« ein Junge gesagt.
    – Frau Steinbach, die Katechetin der Kirchengemeinde, spielte im Kindergarten auf dem Klavier Flohwalzer, und wir tanzten dazu um einen Haufen Zettel mit bunten Stempelbildern. Wenn Frau Steinbach zu spielen aufhörte, durfte man sich eine Karte nehmen. Auf einer war ein Mann mit Sombrero zu sehen, mein bester Freund sagte: »Das ist ein Rowdy.«
    – »Das geht dich einen feuchten Kehricht an«, habe ich ein Mädchen zu seiner Schwester sagen hören, die wissen wollte, wo wir beide so lange gewesen seien.
    – »Bastonade« stand in einem Mosaik-Heft.
    – »Oxer«. Im Urlaub gab es im Dorf ein Turnier im Springreiten, und über Lautsprecher wurden vorher die Hindernisse angesagt. Ich war enttäuscht, weil ich den Rasen vergeblich nach einem Ochsen absuchte.
    – »Striptease«, war in einem Hase-und-Wolf-Film zu lesen, den die Mutter einer Klassenkameradin beim Kindergeburtstag mit einem russischen Projektor zeigte. Der Wolf geriet in dem Film auf die falsche Bahn, rauchte, trank und landete schließlich beim Striptease (natürlich Schtrip-te-a-se gesprochen).
    Die wiedergefundene Zeit, S. 227–247
    Analyse der Natur des Glücks, die ihm die Madeleine-Eindrücke verschaffen, nämlich daß er in ihnen » die Essenz der Dinge genießen konnte, das heißt außerhalb der Zeit «, wodurch er » eine unbändige Lust zu leben verspürte «. Die Wirklichkeit hatte ihn oft enttäuscht, weil seine Einbildungskraft, » die mein einziges Organ für den Genuß der Schönheit war, sich nicht dafür verwenden ließ: auf Grund des unumstößlichen Gesetzes, daß einzig das Abwesende Gegenstand der Imagination sein kann «. Während er bei den Madeleines nicht nur die Einbildungskraft genießt, sondern auch die Sinne aktiviert werden.
    Für diese Momente müssen aber unwillkürliche Erinnerungen verantwortlich sein, die man nicht selbst forcieren kann, was gerade » das Zeichen ihrer Echtheit war «. Alles andere ist nur das Blättern eines Sammlers in seiner Kollektion von

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