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Schmidt Liest Proust

Schmidt Liest Proust

Titel: Schmidt Liest Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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komisch. Ein Text des Kollegen Tube brachte mich auf eine großartige Geschäftsidee: Man legt einfach morgens lauter Hüte vor verschiedene Statuen in der Innenstadt, und die Touristen, die die Statuen mit verkleideten Stillhaltekünstlern verwechseln, werfen ihr Geld hinein. Niemand würde die Hüte klauen, man muß abends einfach nur das Geld wieder einsammeln gehen. Es dürfte sogar so viel dabei herauskommen, daß man für diese Arbeit jemanden anstellen könnte.
    Der Blick vom Hof des »Admiralspalasts« auf den S-Bahn-Bogen war wegen der ungewohnten Perspektive überraschend schön. Gleich um die Ecke habe ich früher immer nach der Mathematischen Schülergesellschaft auf die Straßenbahnlinie 22 gewartet, dort sind jetzt nur noch ein paar Gleisreste im Pflaster geblieben. Das tröstliche Quietschen der um die Kurve biegenden S-Bahn. Es ist schön, daß es noch Geräte gibt, deren Klang man nicht attraktiver für die jugendlichen Konsumenten gestalten kann.
    Die wiedergefundene Zeit, S. 287–307
    Zwar hat ihn die Epiphanie seines Werks ausgerechnet in einem Moment ereilt, als er sich aus der Einsamkeit wieder einmal in die Gesellschaft begeben wollte, aber der genaue Ort dieses Erlebnisses war immerhin eine Bibliothek, soviel Inszenierung muß sein. Wobei Bücher ja vielleicht auch nur eine Form gesellschaftlicher Zerstreuung sind. Es ist gar nicht notwendig, sich als Künstler aus psychohygienischen Gründen von der mondänen Gesellschaft fernhalten zu wollen, denn sie ist » ebenso außerstande, einen mittelmäßig zu machen, wie ein heroischer Krieg einen schlechten Dichter zu einem erhabenen macht «.
    Die Erfahrung, die mich auf meinem Klassentreffen in drei Monaten erwartet, finde ich bei Proust schon beschrieben. Denn jetzt geht er hinab in den Saal zu den alten Bekannten, die er ein paar Jahre nicht gesehen hat. Im ersten Moment denkt er, er sei auf einem Maskenball und die Gäste hätten sich weiße Bärte umgehängt. Mancher scheint ein Mittel gefunden zu haben, » sein Gesicht mit Runzeln und seine Brauen mit struppigen Haaren zu versehen «. Monsieur d’Argencourt, Marcels alter Feind, ist » zu einem gar keine Achtung mehr einflößenden alten Bettler geworden «. Er scheint nicht mehr er selbst, und dabei stand ihm für diese Verwandlung nur sein Körper zur Verfügung. » Es war dies offenbar der äußerste Punkt, bis zu dem er ihn hatte bringen können, ohne daran zu sterben. « Wie grausam! Und welche Genugtuung für den das im nachhinein ausformulierenden Autor! Viele Einladungen hätte Proust nach der Veröffentlichung wohl nicht mehr bekommen.
    Das Beunruhigendste an dieser Verwandlung ist aber, daß man in dem jetzigen Mann den früheren immer noch erkennt und umgekehrt nunmehr auch in dem früheren den jetzigen, weil die Möglichkeit » dieses an einen trotteligen alten Kleiderhändler gemahnenden Lächelns in dem korrekten Gentleman von ehedem schon vorgezeichnet war «. Wie in einer Komödie gibt hier einer die » Inkarnation als possenhafter Todeskandidat «. Der arme Mann gleiche einer » molluskenhaften, mehr zuckenden als kriechenden Larve «.
    Aber der eigentliche Schock ist, daß Marcel seinerseits von diesen » spukhaften Greisen « genausowenig erkannt wird. Jetzt, wo ihm bewußt wird, wieviel Zeit für die anderen vergangen ist, muß das gleiche natürlich auch für ihn gelten. Und » wie die Posaunen des Jüngsten Gerichts « erreichen sein Ohr verstörende Bemerkungen. Die Madame de Guermantes nennt ihn » meinen ältesten Freund «. (Ist er denn so alt?) Jemand anders tituliert sich » ihr sehr ergebener junger Freund «. Oder man beruhigt ihn, die Grippe bekämen eher junge Menschen. Das sadistische Siezen sich für jugendlicher haltender Personen ist ja inzwischen ein Topos.
    Aber er ist doch gar nicht älter geworden! Er meint ja » seit jenem Augenblick nicht weitergelebt zu haben «, als er Bloch » an der Schwelle des Lebens « kennenlernte. Und wie alt Bloch ist! » Tatsächlich sah ich auf Blochs Gesicht übereinandergelagert jene schwächliche, immer Zustimmung ausdrückende Miene und die zittrigen Kopfbewegungen, die so schnell am Bremspunkt angelangt sind, Züge, die ich als eine geschickt bemäntelte Müdigkeit liebenswürdiger Greise gedeutet haben würde. « Man muß schon alle, die einen von früher kennen, rechtzeitig umbringen, damit sie nicht wie Spiegel sind, die einem den eigenen Verfall vor Augen führen. Auch seinen Partner sollte man an sich ketten

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