Schmidt Liest Proust
Tür und will dich holen?«
»Ach, nein«, antwortete sie, »es ist nicht die GEZ, sondern ein garstiger Frosch.«
»Was will der Frosch von dir?«
»Ach, lieber Vater, als ich gestern im Humboldthain bei dem Gully saß und spielte, fiel mein Flummy in die Jauche. Als ich deshalb weinte, hat ihn mir der Frosch heraufgeholt. Und weil er es durchaus verlangte, versprach ich ihm, er sollte mein Spielgefährte werden. Ich dachte aber nimmermehr, daß er aus seiner Jauche käme. Außerdem bin ich über meine letzte Beziehung noch nicht hinweg. Nun ist er draußen und will zu mir herein. Wenn ich das geahnt hätte, hätte ich ihm nie meine Adresse gegeben!«
Da klopfte es zum zweiten Mal, und eine Stimme rief: »Tänzerin, mach mir auf!« Da sagte der Meßingenieur: »Was du versprochen hast, das mußt du auch halten! Geh nur und mach ihm auf! Schönheit ist vergänglich, auf die Dauer kommt es auf andere Eigenschaften an. Außerdem bin ich deiner Mutter damals auch nachgelaufen, sonst gäbe es dich jetzt gar nicht.«
Sie ging und öffnete die Tür. Da hüpfte der Frosch herein und hüpfte ihr immer nach, bis zu ihrem Stuhl. Dort blieb er sitzen und rief: »Heb mich hinauf zu dir!« Sie zauderte, bis es endlich der Meßingenieur befahl. Als der Frosch auf dem Stuhl war, wollte er auf den Tisch, und als er da saß, sprach er: »Nun schieb mir dein Stullenbrett näher, damit wir zusammen essen können.« Der Frosch ließ sich‘s gut schmecken, ihr aber blieb fast das Joghurt-Müsli im Halse stecken.
Endlich sprach der Frosch: »Ich habe mich satt gegessen und bin müde. Nun trag mich in dein Kämmerlein und mach deine Matratze zurecht!« Die Tänzerin fing an zu weinen und fürchtete sich vor dem kalten Frosch, den sie sich nicht anzurühren getraute und der nun auf ihrem schönen neuen Spannlaken schlafen sollte. Außerdem mußte sie morgen früh raus.
Der Meßingenieur aber wurde zornig und sprach: »Wer dir geholfen hat, als du in Not warst, den sollst du hernach nicht verachten!«
Da packte sie den Frosch mit zwei Fingern, trug ihn hinauf in ihr Kämmerlein und setzte ihn dort in eine Ecke. Als sie sich eine halbe Stunde die Zähne geputzt hatte, war er immer noch da, und als sie im Bette lag, kam er gekrochen und sprach: »Ich will schlafen so gut wie du. Heb mich hinauf, oder ich sag‘s deinem Vater!«
Da wurde sie bitterböse, holte ihn herauf und warf ihn gegen die Wand. »Nun wirst du Ruhe geben«, sagte sie, »du garstiger Frosch!« Als er aber herabfiel, war er kein Frosch mehr, sondern ein Publizist mit schönen, freundlichen Augen. Der war nun nach ihres Vaters Willen ihr lieber Geselle und Gemahl. Er erzählte ihr, er hätte unter einer seltenen Erbkrankheit gelitten und niemand hätte ihn aus dem Gully erlösen können als sie allein, und morgen wollten sie zusammen in sein Viertel zu den Steinplatten fahren und Tischtennis spielen mit seinem Drei-Sterner.
Und wirklich, am anderen Morgen kam ein Fahrrad herangefahren, mit einundzwanzig Gängen, buntem Lenkerband, Spritzschutz mit Katzenaugen und einem Sattel für Mädchen auf der Stange. Hinten auf dem Gepäckträger aber saß ein Kollege des jungen Schriftstellers, das war der treue Heinrich.
Der treue Heinrich hatte sich so gekränkt, als sein Freund in einen Frosch verwandelt worden war, daß er drei eiserne Bänder um sein Herz hatte legen lassen, damit es ihm nicht vor Weh und Traurigkeit zerspränge.
Das Fahrrad sollte nun den jungen Publizisten in sein Viertel holen. Der treue Heinrich hob ihn und seine junge Gemahlin hinauf, setzte sich wieder auf den Gepäckträger und war voll Freude über die Erlösung seines Freundes. Als sie ein Stück des Weges gefahren waren, hörte der Publizist, daß es hinter ihm krachte, als ob etwas zerbrochen wäre. Da drehte er sich um und rief: »Heinrich, wir haben einen Platten!«
»Nein, Freund, keinen Platten. Es ist ein Band von meinem Herzen, das da lag in großen Schmerzen, als Ihr in dem Gully saßt, als Ihr eine Fretsche was‘t.«
Noch einmal und noch einmal krachte es auf dem Weg, und der Publizist meinte immer, sie hätten einen Platten. Doch es waren nur die Bänder, die vom Herzen des treuen Heinrich absprangen, weil sein Freund nun erlöst und glücklich war.
Die wiedergefundene Zeit, S. 367–388
Für Marcel soll es der letzte Abend in Gesellschaft sein. » Gleich morgen « will er sich zur Arbeit in die Einsamkeit zurückziehen. » Selbst in meine Wohnung würde ich in meinen
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