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Schmidt Liest Proust

Schmidt Liest Proust

Titel: Schmidt Liest Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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Frage von Marcels Vater, wie das Wetter sei, antwortet: » Ich kann Ihnen absolut nicht sagen, Monsieur, ob es geregnet hat. Ich lebe so entschieden außerhalb all dieser physischen Bedingungen, daß meine Sinne sich nicht mehr die Mühe machen, sie auch nur zu registrieren. « Aber kaum betritt so ein interessanter Mensch den Roman, wird ihm wegen einer kleinen Indiskretion von Marcels Eltern für immer die Tür gewiesen. Man kann froh sein, daß die großen Romane nicht von den Eltern der Autoren geschrieben wurden.
    Ein Schriftsteller namens »Bergotte« fasziniert Marcel. Als Marcel hört, daß Monsieur Swanns Tochter mit Bergotte » gemeinsam alte Städte, Kirchen und Schlösser aufsucht «, verliebt er sich in Mademoiselle Swann, ohne sie je gesehen zu haben. » Unser Glaube, daß ein Wesen an einem unbekannten Leben teilhat, in das seine Liebe uns mit hineintragen würde, ist unter allem, was die Liebe zu ihrer Entstehung braucht, das Bedeutungsvollste, dem gegenüber alles andere nur noch wenig ins Gewicht fallen kann. «
    Der Pfarrer besucht die Tante und langweilt uns mit seinen Kenntnissen der lokalen Kirchengeschichte. Er erörtert die Vorteile der Aussicht vom Glockenturm von Saint-Hilaire gegenüber dem von Jouy-le-Vicomte und schließt: » Das beste wäre, man könnte gleichzeitig auf dem Turm von Saint-Hilaire und in Jouy-le-Vicomte sein. «
    7. Mo, 24.7. Alt-Lipchen
    Mit Proust ist es wie mit dem eigenen Leben, es scheint eigentlich nichts los zu sein, aber hinterher gibt es doch mehr aufzuschreiben, als man in der verbleibenden Zeit schaffen kann. Ich muß noch einen Kompromiß finden zwischen der Versuchung, das ganze Buch abzutippen und der Minimallösung, alles in einem Satz zusammenzufassen.
    In Swanns Welt, S. 126–146
    Monsieur Vinteuil ist so höflich, daß er Angst hat zu langweilen: » Er hatte das Gespräch gerade deshalb auf andere Dinge gelenkt, weil diese ihn weniger interessierten. « Oh, wie oft ist man in dieser Lage! Und noch schlimmer, wenn die anderen ihr Gespräch höflicherweise auf einen Gegenstand lenken, der einen interessiert, aber da man ja weiß, daß er sie nicht interessiert, fühlt man sich schuldig.
    Der hypochondrischen Tante Léonie wird ein wahrhaft langer Satz gewidmet, eigentlich ein Absatz. Wenn man so etwas abschreibt, hat man fast das Gefühl, auch ein wenig der Autor zu sein. Ich weiß nicht, ob das der Lehrmeinung entspricht, aber ich finde, Prousts wahres Talent liegt im Komischen: » Sie liebte uns wirklich und wahrhaftig, es hätte ihr Genuß bereitet, uns innig zu beweinen; die etwa in einem Augenblick, da sie sich wohl fühlte und nicht an Schweißausbrüchen litt, eintreffende Nachricht, daß das Haus einer Feuersbrunst zum Opfer gefallen und die ganze Familie dabei umgekommen sei, daß bald kein Stein mehr davon stehen werde, wobei ihr aber noch Zeit bliebe, sich ohne Eile in Sicherheit zu bringen, wofern sie auf der Stelle aufstände, hat sicher als Möglichkeit in ihren Hoffnungen eine Rolle gespielt, besonders da sich hier zu dem nicht ganz so ins Gewicht fallenden Vorteil, ihre ganze Liebe zu uns in langer Wehmut auszukosten und zum grenzenlosen Staunen des ganzen Dorfes hinter unseren Särgen herzuschreiten – mutig, wenn auch tiefgebeugt, todgeweiht, aber ungebrochen –, noch jener weit verlockendere gesellt hätte, daß sie dann gerade im richtigen Augenblick ohne enervierendes Zaudern den Sommer auf ihrem hübschen Landsitz Mirougrain hätte verbringen können, wo es einen Wasserfall gab. «
    Schauspielern empfiehlt der Erzähler, wenn sie für ein Stück das Gebaren des Sonnenkönigs studieren wollten, statt historische Korrespondenzen zu wälzen, die Launen alter Damen in der Provinz zu beobachten. Das ist eine genauso überraschende Einsicht, wie Kapuscinskis Aussage, er würde, um das Verhalten von Diktatoren zu studieren, Bücher zur Kinderpsychologie lesen.
    Schließlich ein ausführliches Lob der Farbe des Spargels, dessen zarte Nuancen von Blau jene kostbare Substanz verrieten, die wie in einer Posse aus Shakespeares Feenkomödien » sogar noch mein Nachtgeschirr in ein Duftgefäß umschufen «.
    8. Di, 25.7., Berlin
    Der Ort, an dem man ein Buch liest, verändert den Eindruck, so wie man an einem Sommerabend auf einer Strandpromenade anders verliebt ist, als eingeklemmt zwischen Mülleimer und schwitzende Fremde in einem Zugabteil auf dem Weg von Oradea nach Copşa mică. Heute stütze ich meine Füße an die von der Sonne noch

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