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Schmidt Liest Proust

Schmidt Liest Proust

Titel: Schmidt Liest Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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Bauarbeiter: »Der Mann buddelt mit dem Bagger.« Mein Pflaster fällt ihr sofort auf. Packen, Proust, Mails beantworten. Mit den grünen, kurzen Cargo-Hosen zur »Chaussee«. Die Tasche voller Dübel, von wann sind die? Lese was aus dem Proust-Blog vor. Ein Zuschauer meint, man hätte vorher sagen müssen, wer Proust war. Kurz nach Mitternacht auf dem Fahrrad in der lauen Luft nach Hause.
    In Swanns Welt, S. 190–211
    Soll ich diesen Absatz zitieren, um zu zeigen, was ich hier leiste? Bin ich ein plumper Mensch, weil ich Stunden brauche, um mir das alles vorzustellen?
    Wasser mit gewöhnlichem, tiefgrünen Untergrund
    ins Violette spielendes Blau
    sich erdbeerengleich röten
    scharlachrote Herzen
    zu reinem Weiß übergehen
    bleichere Blüten
    das saubere Weiß und Rosa von Sommerlevkojen
    blaue, erstarrte Schmetterlingsflügel
    Himmel von erlesenerer und eindrucksvollerer Färbung als Blumen
    rosenroter Sonnenuntergang
    mit beständigeren Farben getönte Blumenblätter
    sehr waldige Ufer
    Bäume
    erdbeerengleiche Nymphäenblüte
    dahinter dichter beieinander stehende, bleichere, weniger glatte, körnigere, faltigere, zu anmutigen Gewinden angeordnete Blüten
    gelöste Moosrosengirlanden
    Sommerlevkojen
    wie ein schwimmendes Blumenbeet angeordnete Gartenstiefmütterchen
    Seerosen
    tiefe Schatten von Bäumen
    heitere Abendstunden nach einem gewittrigen Nachmittag
    trügerisch durchsichtige Wasserfläche
    Verträumtheit von Sonnenuntergang
    Am Abend in der Stunde liegendes Tiefstes, Flüchtigstes, Geheimnisvollstes, Unendliches
    Im Himmel zu erblühen scheinende Blumenblätter
    Ich weiß nicht, ob Proust einen Lektor hatte, aber viel Einfluß scheint er nicht auf ihn gehabt zu haben. Sind solche Satzperioden wirklich auf sein Asthma zurückzuführen, wie Benjamin behauptet?
    Marcels Enttäuschung über das Gefühl der Ohnmacht, » von dem ich immer befallen worden war, wenn ich nach einem philosophischen Gegenstand für ein großes literarisches Werk gesucht hatte «. (Vielleicht könnte man für »philosophischer Gegenstand« heute auch »Plot« sagen.) » Aber sobald ich mich danach fragte und versuchte, einen Gegenstand zu finden, dem ich eine allumfassende philosophische Ausdeutung geben könnte, hörte mein Geist zu arbeiten auf, ich fand mich einer Art von Leere gegenüber, ich fühlte, daß ich kein Genie besaß, oder hatte die Vorstellung, daß vielleicht eine Krankheit meins Gehirns es nicht aufkommen ließ. « So geht es mir immer, wenn ich Krimis sehe, angesichts der Frage, wer der Mörder ist und des Aufwands, den der Drehbuchautor unternommen hat, den Erkenntnisprozeß des Kommissars auf neunzig Minuten zu strecken.
    Marcel tröstet sich über seine Talentlosigkeit, indem er beliebige Gegenstände so lange und intensiv betrachtet, bis er mit seinem Denken » über das Bild noch hinausgelangt «. Zum ersten Mal erlebt er, wie solche Konzentration auf ein Bild zur Sprache wird, als er vom Wagen aus die Kirchtürme von Martinville sieht. Es wird wohl bedeutungsvoll sein, daß es dazu kommt, während er sich nicht selbst bewegt, sondern gefahren wird, der Körper muß schweben, um Proust nicht beim Proust-Sein zu behindern.
    Unklares Inventar:
    – Architekten aus der Schule von Viollet-le-Duc.
    11. Fr, 28.7.
    Wecken um sechs. Kaffee auf dem Balkon, die Stadt schläft noch. Erinnerungen an frühere Forschungsreisen, die sich im Geist ablagern wie Hausmüll am Boden einer Siedlungsstätte. Reisegesten tauchen wieder auf, nur im Flugzeug schüttelt man eine Tüte Coffee-Creamer vor dem Öffnen, um den Inhalt in einer Ecke zu sammeln. Was für ein gewaltiger Apparat nötig ist, um unsere Körper in eine andere Welt zu hieven, wo man sich nur ins Bett legen müßte, um diese Aufgabe dem Geist zu überlassen. Ein Magazin mit den Fotos von einigen der hundert »wichtigsten Köpfe der Zukunft« aus dem Deutschen Historischen Museum, darunter mehrere junge Kollegen, die ich für unwichtiger halte als mich. Hugo Chávez hat Lukaschenko besucht, einen »neuen Freund«. »Die Gebisse des Imperialismus und der Hegemonie schweben über Weißrußland, weshalb beide Länder ihre Hände am Schwert halten müssen.« Artikel über Wagemut von Mäusen. Mit dreißig Jahre altem Wolga in die Innenstadt. Verspiegelte Armatur. Der belgische Mitbewohner ist Polizist. Über die Hinterhöfe hier sagt er: »On dirait Grozny après le pillage des forces russes.« Die breiten Straßen mit Platanen. Nur noch Städte erobern und das mit

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