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Schmidts Einsicht

Schmidts Einsicht

Titel: Schmidts Einsicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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bewundert hatte, an alle diese Loyalitäten, wurde Schmidt plötzlich nostalgisch.
    Schauen Sie, Mr. Schmidt, sagte Dr. Townsend, ich bin kein Familientherapeut, und ich werde nicht versuchen, Ihr Verhältnis zu Charlotte zu bessern. Vielmehr erhoffe ich mir von Ihnen Informationen, die mir helfen können, sie zu behandeln, und ich möchte auf Ihren vollkommen natürlichen und legitimen Wunsch nach einem besseren Verständnis von Charlottes Lage eingehen. Ist Ihnen das recht? Denken Sie bitte daran, daß ich Charlotte vielleicht, aber vielleicht auch nicht erzähle, was Sie mir berichten, und daß ich Ihnen vielleicht, aber vielleicht auch nicht glaube, was Sie sagen. Einverstanden?
    Schmidt nickte.
    Erstens: Können Sie mir erzählen, welche Traumata in Charlottes Leben nach Ihrer Meinung am schwersten wiegen? Ich meine damit Traumata vor der Fehlgeburt und der Hysterektomie. Auf den Unfall müssen Sie nicht eingehen.
    Schmidt nickte wieder.
    Da war wirklich wenig, sagte er, oder besser gesagt, ich kann mir nur wenig vorstellen. Als sie elf oder zwölf war, gab es einen fürchterlichen Krach, weil ich ein Machtwort gesprochen und gesagt habe, daß wir uns die Stallmiete für ihr Pferd in New York nicht leisten können. Er war so schrecklich, daß ich mich noch heute lebhaft daran erinnere. Es muß das erste Mal gewesen sein, daß ich ihr einen wichtigen Wunsch abgeschlagen habe. Übrigens waren meine Frau Mary und ich uns in der Sache mit dem Pferd einig. Dann war da mein Fehltritt. In einem sehr schwierigen Sommer – schwierig, weil Mary, die laut Diagnose an einer Depression litt, mich mit ausgesprochener Feindseligkeit behandelte – habe ich mich mit Charlottes Babysitterin eingelassen. Viel später, erst vor ungefähr drei Jahren, kam heraus, daß Charlotte damals, wenn auch nur vage, verstand, was vor sich ging. Warum sie es gemerkt hat, weiß ich nicht, wir, die junge Frau und ich, waren außerordentlich vorsichtig, und weder sie noch ich entdeckten irgendwelche Anzeichen dafür, daß Charlotte uns nachspionierte oder daß ihre Zuneigung zu ihr oder mir nachließ. Erwischt hat uns Mary, wegen eines Flecks auf dem Laken, und sie hat die Babysitterin gefeuert. Aber dann ging es Mary wieder besser, und sie vertrug sich mit mir, auch Sex hatten wir wieder. Vielleicht konnte Charlotte allein aus der Tatsache, daß das Mädchen gefeuert wurde, vielleicht auch aus einer verräterischen Bemerkung ableiten, was passiert war, entweder damals schon oderim Rückblick. Ich weiß es nicht. Reicht das? Brauchen Sie mehr Einzelheiten?
    Townsend schüttelte den Kopf. Vorläufig nicht.
    In Ordnung. Schmidt, dem ganz übel wurde, stürzte sich in eine Darstellung seiner komplizierten Aversion – kompliziert sei sie in der Tat – gegen Charlottes Ehe mit Jon Riker; seiner Entscheidung, Charlotte seinen Nießbrauch am Haus in Bridgehampton zur Hochzeit zu schenken und selbst auszuziehen, einer Entscheidung, deren Motiv, das müsse er zugeben, sein Widerwille gegen das gemeinsame Wohnen mit Charlotte und Jon in einem Haus, dessen Herr nicht er war, gewesen sei, einer Entscheidung, die dann geändert wurde und aus sehr soliden Steuergründen zum Kauf von Charlottes Anwartschaft geführt habe; seiner Bestürzung über Charlottes Beschluß, sich von einem Rabbi in einem Restaurant in Soho trauen zu lassen statt im Haus ihres Vaters.
    Er hielt inne, um Luft zu holen, und sagte: Ich habe etwas begriffen. Ich gebe Ihnen eine Version, die davon profitiert, daß Renata Riker mir wegen meines angeblichen tiefsitzenden Antisemitismus die Hölle heiß gemacht hat. Mir ist klargeworden, daß sich der Antisemitismus wie ein roter Faden durch meine Beziehung zu Jon Riker und seiner Familie zieht. Diese Einsicht verdanke ich ebenfalls Renata Riker und auch meinem besten Freund, der übrigens Jude ist. Das ist eine Tatsache, und ich will es nicht abstreiten, aber Sie sollen wissen, daß ich mich nach Kräften bemüht habe, mich von meinem Antisemitismus zu befreien, und daß es mir, meine ich, gelungen ist. Und ich möchte Ihnen versichern, daß meine Abneigung gegen Juden, soweit davon die Rede sein konnte, mir niemals den Wunsch eingegeben hat, einem Juden in irgendeiner Weise Schaden zuzufügen. Zum Beispiel verdankte Jon Riker seine Ernennung zum Partner meiner alten Kanzlei fast ausschließlich meiner Fürsprache. Nicht, daß seine Arbeit nicht ausgezeichnet gewesen wäre. Er brauchte nur einen kleinen Anschub, um rechtzeitig, ohne eine

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