Schneckle im Elchtest
Nina zufrieden.
Blöde Kuh.
»Kommt Thomas auch am Freitag?«, wollte ich von ihr wissen.
»Ich denke schon, dass ich ihn dabei sein lasse«, überlegte Nina laut und fuhr fort: »Motz jetzt bloß nicht. Dieses Mal kommst du ja mit Verstärkung. Und wenn dich Thomas zu sehr nervt, schaust du einfach in Charles’ Richtung. Außerdem: Vielleicht macht dich ja der Vergleich der beiden Jungs nachdenklich.«
»Ja, sicher«, erklärte ich. »Jedes Mal, wenn ich Thomas sehe, werde ich sogar sehr nachdenklich. Außerordentlich nachdenklich. Und wenn man ihn im direkten Vergleich mit meiner Sahneschnitte sieht, wird hundertprozentig jeder nachdenklich. Auch du, meine Liebe. Wir sehen uns dann Freitag. Und wenn du Steve auch nur einmal Charles nennst, schenke ich Thomas zu Weihnachten eine Hundeleine!«
Wohl ungefähr zum dreitausendsten Mal in meinem Leben fragte ich mich, wie Silke und ich seit ungefähr fünfzehn Jahren so gut mit ihr befreundet sein konnten. Nina hatte Betriebswirtschaft studiert, danach einen exorbitant bezahlten Job bei Bosch ergattert und hielt sich ihren langjährigen, spindeldürren Freund Thomas wie ein Paris-Hilton-Schoßhündchen. Beim ersten »Kusch« ihrerseits fing er auch noch wie ein solches an zu zittern, zu winseln und seine Wunden zu lecken. Das war unendlich peinlich. Aber anscheinend eben Ninas Vorstellung von der perfekten Beziehung. Nicht einmal Silke stimmte ihr da zu. Und ich raufte mir regelmäßig die Haare und weigerte mich, länger als eine Stunde mit Thomas, dem Chihuahua, in einem Raum zu verbringen. Ich wollte keinen jämmerlichen, winselnden Nackthund an meiner Seite. Mein Kerl sollte einen eigenen Kopf haben. Geld verdarb doch sowieso nur den Charakter. Mir stand mehr der Sinn nach nichtschwäbischer Dornröschen-Romantik im Bohemien-Gewand. Und das bekam ich auf jeden Fall bei Steve.
In den letzten Monaten hatte der in Stuttgart regelrecht für Furore gesorgt. Was war ich froh, dass ich ihn quasi als Erste »entdeckt« hatte. Die Schwäbinnen waren dem Hamburger Akzent, den zerfetzten Klamotten, den roten Locken und dem schiefen Schneidezahn einfach nicht gewachsen und flirteten auf Teufel komm raus mit ihm.
Zum Glück musste ich mir dieses Schmierentheater nicht allzu oft ansehen: Mein neuer Job bei der PR-Agentur im Westen brachte mit der unverschämt hervorragenden Bezahlung auch noch regelmäßige Arbeitszeiten in meinem piekfeinen, stinklangweiligen Büro mit sich. Dort saß ich Tag für Tag und schrieb Pressemitteilungen über die anschmiegsamste Herrenhandtasche der Welt, den anschmiegsamsten Beton der Welt, die anschmiegsamste Butter der Welt. Gähn. Lange würde ich diesen überbezahlten Langweiler-Job sicher nicht behalten.
Wenn ich abends aus dem Büro stolperte, bekam ich kaum noch die Augen auf. Trotzdem begleitete ich Steve aus reiner Nostalgie hin und wieder zu einzelnen Terminen, die er als neuer fest angestellter Knipser beim Stuttgarter Boten so herunterriss. Dabei begegneten mir nicht nur viele ehemalige Kollegen, die auf mein neues gelangweiltes Ich wie eine Frischzellenkur wirkten. Ich durfte nun auch bewundern, wie sich jede Cello spielende Sechzehnjährige, jede mundblasende Aquarellkünstlerin und natürlich auch jede Menge Kolleginnen an meinen Steve heranwarfen. Der stieg immer auf das Flirtangebot ein, ob ich nun dabei war oder nicht. Im Anschluss bekam ich dann regelmäßig den Satz zu hören: »Ich bin echt glücklich, dass du damit so gut umgehen kannst und so wenig der bescheuerten Chantal gleichst.« Ich lächelte jedes Mal bittersüß, während ich ihn und die entsprechende Dame des Abends in meiner Vorstellung genüsslich auf Dönerspieße steckte und sie in ihrem eigenen Saft ihrem Ende entgegenbrutzeln ließ.
Noch ein paar Wochen wollte ich ihm geben, bevor ich ihm in aller Deutlichkeit erklären würde, was ich von seinem affigen Geschäker hielt. Bis dahin lebte ich nach der Devise: Lieber eine nervige Dauerflirt-Taube in der Hand als einen bibbernden Nackthund-Spatz auf dem Sofa.
Drei Tage später machte ich mich mit Silke und Steve im Schlepptau auf zu Ninas Essenseinladung. Ich hatte darauf bestanden, dass die beiden im Auto hinten saßen, um sich in Ruhe beschnuppern zu können.
Die perfekte Silke war seit Menschengedenken mein Prüfstein für neue Männer: Ich setzte sie ihnen fein säuberlich vor die Nase – und nur, wenn sie nicht innerhalb von einer Zehntelsekunde zu sabbern begannen, hatten sie noch eine Chance bei
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