Schneckle im Elchtest
das stimmt. Aber seit wann ist Joe beim ZDF?«
Ich schaute irritiert zurück. »Schon immer. Hat jedenfalls Steve behauptet. ZDF oder SWR ... Joe ist da doch Nachrichtensprecher ...«
Der Prof winkte ab. »Joe ist Ansager bei einem Verkaufssender! Der ist von SWR und ZDF so weit entfernt wie wir hier von einem Fünfsterne-Ferienhaus.«
Ich blähte die Backen auf. Noch eine dicke Kröte, die Steve mir auf einem silbernen Tablett serviert hatte. Ob wohl überhaupt irgendetwas von dem, was er mir über seine ach so heilige Familie erzählt hatte, den Tatsachen entsprach? Ich musste mir meinen Pinocchio schleunigst schnappen, bevor seine Nase so lang wurde, dass er durch keine Tür mehr passte.
»Und Ihre Enkelinnen genießen es, zwischen all diesen Büchern wohnen zu dürfen?«
Der Prof zuckte nur mit den Achseln: »Nein, die beiden verschwinden meistens auf den Nachbarhof. Dort wohnen zwei Burschen, die ungefähr in ihrem Alter sind, mitten drin im ganz normalen Teenager-Wahnsinn. Denen heulen sie dann in schlechtem Englisch vor, wie erbärmlich es ihnen hier geht, und dürfen sich dafür mit ihnen im Heu herumwälzen.«
»Herr Professor!«, rief ich aus. »Das sind ja feine Aussichten. Und was sagen ihre Eltern dazu, dass sie sich in dem Alter schon mit schwedischen Bauernburschen im Tierfutter verlustieren?«
Er schnaubte. »Die sind seit ihrem zwölften Lebensjahr ›under pill‹, so nennt man das doch heute, oder? Edith erklärt immer, dass Mädchen heute eben früher reif werden und außerdem das Recht haben, über ihre Körper frei zu verfügen.«
»Aha«, meinte ich trocken. »Und alle Kerle im Umkreis von fünfzig Kilometern haben dasselbe Recht, oder was? Im Schwabenland nennt man das Verletzung der Aufsichtspflicht!«
»Leider sind wir nicht im Schwabenland, sondern weit, weit weg«, seufzte der bedauernswerte Großvater. Er hing eine Weile lang seinen Gedanken nach. Dann ergänzte er: »Hier stehen andere Dinge hoch im Kurs, die nicht so ganz meinen Vorstellungen eines intakten Familienlebens entsprechen. Udo weiß das seit langem. Aber was kann er schon tun? Natürlich hätte ich mir für ihn etwas mehr liebevolle und aufrichtige, äh, private Erfüllung gewünscht. Doch da eine Scheidung für ihn nicht in Frage kommt, müssen wir nun eben alle da durch.« Er warf mir einen schnellen Seitenblick zu. »Ich hoffe, Sie halten mich nicht für einen Familienhasser, weil ich derart despektierlich über die Familie Labskaus rede. Aber ich habe bisher kaum Zeit mit meinen Enkelinnen verbracht – was zumindest am Anfang ganz gegen meine Absicht war. Doch Britt und Anke waren bei jedem Besuch, sobald sie ihre Geschenke hatten, immer gleich wieder verschwunden. Deshalb kenne ich sie einfach nicht gut genug, um ihre eventuell vorhandenen Vorzüge zu schätzen.« Er räusperte sich. »Aber wir sollten besser das Thema wechseln. Die Wände haben hier Ohren, verstehen Sie?« Er verdrehte die Augen in Richtung linker Nachbarwand und flüsterte: »Da wohnen Maria und Marie-Louise«, flüsterte er. »Sie sind zwar meistens im Ess- oder Wohnzimmer, weil sie ihre langen Nasen in alles hineinstecken und zu allem sofort ihre Kommentare abgeben müssen. Aber wir sollten trotzdem vorsichtig sein.«
»Ich verstehe«, flüsterte ich zurück. »Wie gut kennen Sie die Damen denn? Sind die wirklich alle so gut miteinander befreundet? Ich kann mir das gar nicht vorstellen! So viele Exfrauen auf einem Haufen und alle sind die besten Freundinnen?«
Er lachte prustend und rollte dabei die Augen: »Alles nur Gerede, sehr leicht durchschaubares zudem. Maria und Marie-Louise bieten uns hier zwar eine grandiose Vorstellung als siamesische Zwillinge. Doch abgesehen von der Zeit hier in Schweden herrscht bei ihnen das gesamte Jahr über Funkstille. Im Grunde verabscheuen sie sich.«
Er beugte sich vor und setzte vertraulich hinzu: »Verlässt eine der beiden auch nur kurz den Raum, zerreißt die andere sie regelrecht in der Luft. Da werden Weiber zu Hyänen. Am schlimmsten halten sie es mit Martha. Ein Beispiel?«
Ich nickte eifrig.
Der Prof spitzte die Lippen: »›Ach, Martha, was trägst du heute ausnahmsweise einmal für eine hübsche Bluuuse!‹« Er flötete wie Loriot in seinen besten Zeiten. Ich lachte mich scheckig. »›Aber wie schaaade, sie macht dich so blassss und dick um die Hüfffte!‹«, fuhr er fort. »Noch ein Beispiel?«
Ich nickte heftig. »Bitte, unbedingt!«
»›Ach, Martha, heute trägst du aber mal
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