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Schnee in Venedig

Schnee in Venedig

Titel: Schnee in Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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ich das richtig verstanden habe», sagt Ennemoser lächelnd, «an gewisser Stelle ein großes Interesse besteht.»
    «Das haben Sie richtig verstanden.»
    Hübsch, denkt Elisabeth, wie der Mann sich ausdrückt. Fast wie ein Diplomat. Drucker lesen viel, und das färbt ab. Allerdings herrscht, hat Elisabeth gehört, in solchen Kreisen oft ein gewisser Mangel an Begeisterungsfähigkeit für die Armee und die kaiserliche Familie, was sie, nach sechs Ehejahren mit Franz Joseph, allerdings gut verstehen kann.
    «Der offiziellen Version zufolge ist dieses Mädchen erschossen worden», fährt Elisabeth fort. «Aber Ihre Verlobte hat angedeutet, dass sie auf andere Weise ums Leben gekommen ist.» Elisabeth schenkt der Wastl ein vertrauliches Lächeln.
    Ennemoser nickt. «Die Frau ist gefesselt und dann erwürgt worden. Sie hatte Spuren von Bissen auf dem Oberkörper.»
    «Woher wissen Sie das?»
    «Von einem der Sergeanten, die an dem Einsatz beteiligt waren.»
    «Angeblich gab es Ärger zwischen dem Commissario und dem Oberst. Hat der Sergeant etwas dazu gesagt?»
    «Nur dass der Commissario den Fall zuerst nicht abgeben wollte.»
    «Ist das alles, was Sie über den Lloydfall wissen?»
    Ennemoser denkt einen Moment nach. Er schürzt die Lippen, und sein herzförmiger Mund wird noch herzförmiger. Dann sagt er: «Da wäre vielleicht noch etwas. Ich weiß nicht, ob es mit dem Lloydfall zusammenhängt, aber es könnte sein. Der Oberst hatte am Montag Besuch. Gegen neun Uhr abends kam ein Mann in die Wohnung.»
    «Haben Sie den Mann gesehen?»
    «Nein. Oberst Pergen hat die Wohnungstür selber geöffnet und den Mann sofort in den Salon geführt. Ich glaube, er hatte ihn bereits erwartet.»
    «Sie haben nicht bedient?»
    «Getränke und Gläser waren im Salon. Ich hatte später den Eindruck, als hätte Oberst Pergen vermeiden wollen, dass ich seinen Besucher sah.»
    «Warum glauben Sie, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Mord auf dem Schiff und dem Besuch dieses Mannes gibt?»
    «Weil ich zufällig einen Teil der Unterhaltung gehört habe. Ich war in der Küche und bin auf den Flur gegangen, um einen Mantel aus der Garderobe zu holen, von dem ein paar Flecken entfernt werden mussten.»
    «Worum ging es bei der Unterhaltung?»
    «Um Papiere, die aus der Kabine des Hofrats verschwunden waren. Oberst Pergen hat den Mann beschuldigt, diese Papiere in seinem Besitz zu haben.»
    «Oberst Pergen sprach deutsch mit dem Mann?»
    «Ja.»
    «Was hat der Mann dazu gesagt?»
    «Er hat gelacht, und dann hat Oberst Pergen gebrüllt, dass er ihn jederzeit an den Galgen bringen kann.»
    «Hat der Mann geantwortet?»
    «Er hat gesagt, er werde dafür sorgen, dass die Papiere vorher bei Toggenburg landen. Dann hat er wieder gelacht, und ich konnte Schritte im Salon hören. Also bin ich wieder in die Küche gegangen. Ein paar Minuten später ging die Wohnungstür. Ich habe dann aus dem Küchenfenster gespäht, aber ich konnte den Mann nur von hinten und oben sehen. Die Wohnung, die der Oberst bewohnt, liegt im zweiten Stock.»
    «Sie könnten den Mann also nicht beschreiben.»
    «Ich kann nur sagen, dass er groß war und einen schwarzen Umhang trug. Einen Mantel, wie Priester ihn tragen.»
    «Haben die beiden Männer du zueinander gesagt?»
    «Ja, das haben sie.»
    Und dann bemerkt Elisabeth, dass Ennemoser, der mit dem Rücken zur Wand sitzt und den Gastraum vollständig im Auge hat, nicht mehr auf ihr Gespräch achtet. Elisabeth will etwas sagen, aber Ennemoser legt ihr seine Hand auf den Arm. An den Tischen stocken die Gespräche, dann verstummen sie ganz. Elisabeth dreht sich langsam um und sieht, dass der Gondoliere auf seinen Stuhl gestiegen ist und den Arm gehoben hat.
    Wenn der Gondoliere mit den markanten Gesichtszügen nicht so venezianisch ausgesehen hätte, wäre Elisabeth schneller darauf gekommen, was los ist. Aber so denkt sieein paar Augenblicke lang, er würde ein wichtiges Ereignis bekannt geben wollen, das sich in der Nachbarschaft zugetragen hat, eine Hochzeit oder einen Todesfall. Er hat seinen kreisrunden Strohhut mit dem lustigen Band abgelegt, und darunter ist ein militärischer Haarschnitt zum Vorschein gekommen. Was er mit deutlichem österreichischem Akzent sagt, braucht Ennemoser nicht zu übersetzen. Als er seine Rede beendet hat, drängt ein Dutzend Soldaten durch die Tür herein. Sie besetzen den Vordereingang und den Hintereingang. Ungefähr dreißig Leute sitzen in der Falle.
    In der Falle
. Das ist das Erste,

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