Schneeflockenkuesse
reglos da, versunken in ihrem Schmerz. Erst der Geruch nach angebranntem Truthahn brachte sie wieder zu sich. Sie nahm Nathans missglückten Versuch, ein Festessen zu zaubern, aus dem Ofen, bevor sie ins Schlafzimmer ging und sich anzog.
Als sie gerade in der Küche war, um zumindest eine Portion des verbrannten Truthahns zu retten, klingelte das Telefon.
»Hallo?«, meldete sie sich gereizt. Denn sie war sicher, dass auch dieser Anrufer wieder etwas von Nathan wollte und damit seine Zeit noch weiter in Anspruch nehmen würde.
»Ich binâs«, sagte seine Schwester Pat besänftigend. »Entschuldige, wenn ich störe, Mallory â¦Â«
Mallory mochte Pat sehr, und sie bereute ihren barschen Ton. »Du störst doch nicht«, erklärte sie freundlich. »Es ist nur so, dass â¦Â«
»⦠dass viele andere es tun«, vollendete Pat den Satz.
»Genau«, stimmte Mallory zu, die wusste, dass sie ihrer klugen Schwägerin ohnehin nichts vormachen konnte. Obwohl Pat erst zweiundzwanzig war, war sie genauso intelligent wie ihr Bruder. »Erst die Band und dann Diane Vincent, die Presseagentin der Spitzenklasse.«
Pat seufzte schwer. »Bitte nicht. Ich esse gerade.«
Aus heiterem Himmel fing Mallory plötzlich an zu schluchzen, so wie damals, als sie ihre Eltern verloren hatte.
»Rühr dich nicht vom Fleck«, sagte Pat entschieden. »Ich bin schon auf dem Weg zu dir.«
Mallory sank auf einen Küchenstuhl und vergrub das Gesicht in den Händen. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich wieder gefasst hatte. Sie wischte die Tränen fort, ging ins Bad und lieà heiÃes Wasser in die Wanne ein, um allen quälenden Fragen auszuweichen.
Ob Nathans Abneigung gegen Diane Vincent nur gespielt war, um Mallory und alle anderen Menschen davon abzulenken, was tatsächlich vor sich ging?
Diane dreht mal wieder durch , hatte er gesagt, bevor er verschwunden war.
Mallory lieà sich bis zum Kinn in das heiÃe, duftende Wasser gleiten und sah gedankenverloren zu, wie der alte Hahn tropfte.
Eigentlich ging es gar nicht um Diane. Es war nur einfacher, ihr die Schuld zu geben, weil sie von Anfang an unausstehlich gewesen war.
Missgelaunt stieg Mallory aus dem Bad, wickelte sich in ein Handtuch und ging ins angrenzende Schlafzimmer.
In Jeans und einem weichen gelben Pulli stand Mallory wenig später am Fenster und zog die hellbunten Baumwollvorhänge zur Seite. Es schneite immer noch recht heftig, sodass die Reifenspuren von Nathans Wagen kaum noch zu sehen waren.
Sie ging zurück ins Bad, putzte sich die Zähne, kämmte die Haare und betrachtete sich in dem alten Spiegel, der über dem Waschbecken hing. Normalerweise hatte sie eine gesunde Farbe und brauchte so gut wie kein Make-up, denn sie hielt sich häufig drauÃen auf. Aber heute wirkte ihr Gesicht blass. Sie kniff sich mehrmals in die Wangen, da sie ihr Rouge im Penthouse vergessen hatte.
Im Wohnzimmer schaltete sie seufzend die Weihnachtsbeleuchtung in Nathans Christbaum aus. Dann schloss sie die Tür hinter sich. Dass sie mitten im Januar Weihnachten gefeiert hatten, ging nur sie und Nathan etwas an. Nicht einmal Pat sollte davon wissen.
In der Küche schnitt sie ein Stück Truthahn ab und gab es Cinnamon. Sie selbst hatte keinen Appetit. Dann räumte sie das Chaos auf, das Nathan hinterlassen hatte, und legte den angebrannten Vogel in den Kühlschrank.
Sie brühte gerade frischen Kaffee auf, als sie drauÃen einen Wagen hörte.
Es war Pat. Auf ihrem schmalen Kamelhaarmantel glitzerten noch Schneeflocken, als sie zitternd die Küche betrat. »Mein Gott, ist das kalt drauÃen«, klagte sie und trat zu Mallory an den Ofen.
Lachend nahm diese ihrer Schwägerin Mantel und Strickschal ab und hängte beides auf. Dann setzten die beiden Frauen sich mit einem Kaffee an den Küchentisch und unterhielten sich.
Pat, in schwarzem Wildlederanzug und roter Seidenbluse, hatte ihre blonden Haare zu einem Knoten hochgesteckt. Forschend ruhten ihre blauen Augen auf Mallorys Gesicht, während sie die Hände an ihrem Kaffeebecher wärmte. »Du klangst bei unserem Telefonat ziemlich aufgebracht. Ist jetzt alles in Ordnung mit dir?«
Mallory nickte erschöpft. Auf keinen Fall wollte sie sich bei ihr über Nathans aufreibendes Leben beschweren. »Mir gehtâs gut, Pat, wirklich. Tut mir leid, dass du dir Sorgen gemacht hast. Könnten â¦
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