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Schneegestöber (German Edition)

Schneegestöber (German Edition)

Titel: Schneegestöber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophia Farago
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hinzudeuten. Kitty ging vorsichtig näher. Sie zog die Vorhänge beiseite, um mehr Licht in den Raum zu lassen. Es war der erste Raum, den sie bisher betreten hatte, in dem die Vorhänge zugezogen waren. Die Puppe machte einen mitleiderregenden Eindruck. Eines der Glasaugen hing nur mehr an einem hauchdünnen Faden. Holzwolle quoll aus dem aufgerissenen Bauch. Kitty nahm die Puppe hoch und überlegte skeptisch, ob man sie wohl noch reparieren konnte. Sicher würde sich Barbara darüber freuen. Barbara. Sie hatte das Mädchen seit dem Tag ihrer Ankunft nicht mehr gesehen. Sie drehte und wendete die Puppe in ihrer Hand und hielt plötzlich inne: Das Spielzeug war zerrissen, kaputt – doch es war nicht schmutzig. Und auch die Schreibtischplatte mußte erst vor kurzem gereinigt worden sein. Sie schimmerte in ungewöhnlichem Glanz in der Abendsonne. Kitty nahm das Möbelstück in genaueren Augenschein. Auch die Laden waren poliert, die ringförmigen Messinggriffe glänzten. Vorsichtig öffnete sie die oberste Lade. Sie ließ sich aufziehen, ohne zu quietschen. Kittys Herz klopfte vor Aufregung. Würde sie endlich etwas entdecken, das auf Silvie Westbourne hinwies?
    Doch sie wurde enttäuscht: Die Lade war leer. Ebenso die zweite, die dritte, die vierte Lade. Die unterste Lade klemmte. Kitty rüttelte mit Gewalt daran. Sie stemmte sich mit all der Kraft gegen den Tischfuß, und endlich gab die Lade ruckweise nach. Doch was sie schließlich zutage förderte, schien ihre Bemühungen nicht zu belohnen: einige Bogen vergilbtes Papier, eine abgebrochene Feder, ein ausgetrocknetes Tintenfaß. Sie wollte die Lade bereits wieder schließen, als ihre Hand am hinteren Rand des Holzes noch etwas ertastete: ein kleines viereckiges Ding. Sie zog es heraus.
    Es war, wie sie es erwartet hatte, eine Miniatur. Mit raschen Schrittenwar sie beim Fenster, um nachzusehen, wen das Bild wohl darstellte. Mit dem Staubtuch reinigte sie vorsichtig die Fläche und den Rahmen. Zwei blaue Augen lachten ihr entgegen. Blonde Locken umrahmten ein feingeschnittenes Kindergesicht. Kitty stieß einen überraschten Laut aus: Das war unzweifelhaft Barbara. Das Mädchen, das im Haus keiner kennen wollte. Von dem sie angenommen hatte, es sei vielleicht ein Kind aus der Nachbarschaft, das sich heimlich in das Herrenhaus geschlichen hatte. Doch nun war sicher, daß das Kind hier lebte. Wie käme sonst die Miniatur in den Schreibtisch des unbewohnten Zimmers? Erschrocken fuhr sie herum. Was war das eben für ein Geräusch? Es klang, als habe jemand einen Schlüssel in einem Schloß umgedreht. Kitty drückte die Miniatur an ihren Busen und hastete zur Tür des Zimmers. Ein rascher Griff an die Klinke: Sie drückte sie herunter, und nein, Gott sei Dank, niemand hatte sie eingesperrt. Kitty fröstelte nun noch mehr. Was wäre wohl geschehen, wenn man sie hier eingesperrt hätte? Niemand im Haus wußte, wo sie war. Es hätte Stunden gedauert, bis man sich auf die Suche nach ihr gemacht hätte. Und weitere Stunden, bis man sie gefunden hätte. Das war dumm von ihr gewesen. Sie würde in Zukunft Al Bescheid sagen, wenn sie auf Erkundungstour ging. Er würde sie sofort suchen, wenn sie nicht zurückkam. Vielleicht sollte sie ihn überhaupt bitten, mit ihr zu kommen. Sie würde sich nicht fürchten, wenn er an ihrer Seite wäre. Und jede Suche machte mehr Spaß, wenn man die Aufregung teilen konnte. Nun würde sie auf raschestem Weg in die Küche zurückkehren. Vielleicht zuerst noch einen kurzen Blick ins Schulzimmer. Dort war auch ein Schreibtisch gestanden. Es war noch nicht zu dunkel, um nachzusehen, was sich darin befand. Vorsichtig drückte sie die Klinke zum Schulraum hinunter. Doch die Tür ging nicht auf. Das konnte doch nicht sein, sie war doch selbst vor wenigen Minuten in diesem Raum gewesen. Energisch rüttelte sie an der Türklinke, stemmte sich gegen die Tür. Ohne Erfolg. Sie hatte sich also doch nicht verhört. Jemand hatte vorhin diese Tür abgeschlossen. Die Tür zum Schulzimmer.
    »Barbara?« rief sie und preßte ihr Ohr fest gegen das Türblatt. »Barbara. Bist du da drinnen?«
    Doch kein Laut war zu hören. Kitty beschloß, die Suche für heute aufzugeben, und stieg die Treppe hinunter. Doch dieses Schulzimmer würde sie im Auge behalten. Soviel war sicher.
    Als sie in die Küche zurückkam, fand sie das Personal vollzählig versammelt dort vor.
    »Wo um Himmels willen bist du gewesen, du nichtsnutziges Ding!« rief Mrs. Bobington aus. »Ja, was

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