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Schneegestöber (German Edition)

Schneegestöber (German Edition)

Titel: Schneegestöber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophia Farago
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Staubschicht bedeckte den Boden. Die Kristallüster hatten durch Schmutz und Staub längst ihr brillantes Feuer verloren. Die großflächigen Spiegel in den schweren goldenen Rahmen waren an manchen Stellen blind. Der Parkettboden, ein kunstvoll aus verschiedenen Holzarten zusammengestelltes Mosaik, war kaum zu erkennen. Auch der ausladende schwarze Flügel direkt neben der Tür, durch die sie getreten war, war seit Jahren nicht mehr benützt worden. Es juckte sie in den Händen, das Klavier zu öffnen und eine fröhliche Tanzmusik anzustimmen. Wie würden die Töne in diesem großen Raum wirken? Und doch, es war undenkbar. Wie hätte sie erklären können, daß sie ohne zu fragen durch ein fremdes Haus schlich und Erkundigungen anstellte? Auf Zehenspitzen durchquerte sie den Saal und erreichte die angrenzenden Salons. Diese waren mit altmodischen Möbeln reichlich bestückt, und doch wirkten sie nicht eben einladend. Sämtliche Fauteuils steckten in Schutzhüllen, die Vorhänge waren vergilbt und an manchen Stellen brüchig. Die Gemälde waren so lange nicht mehr gereinigt worden, daß man kaum mehr erkennen konnte, was sie darstellten. Kitty fröstelte. Es wäre besser gewesen, sich einen Mantel anzuziehen. Nur mit Mühe konnte sie ein Niesen unterdrücken. Sie würde doch wohl nicht krank werden. So wie der arme Al, der hustete und nieste, daß sie sich bereits Sorgen machte. Es war ja kein Wunder, wenn man fröstelte, in diesem kalten, unbewohnten Gemäuer.
    Kitty sah sich aufseufzend um. Es war wirklich schade um diese Pracht. Wie schön wäre es, wenn eine Heerschar von Dienern durchdie Zimmer wirbelte, den Staub entfernte und dem Haus zu neuem Glanz verhalf. Sie konnte es deutlich vor sich sehen: Die zahlreichen Paare, nach der neuesten Mode gekleidet, drehten sich zum Klang der Musik. Sie konnte das Klirren der Kristallgläser hören, die sonoren Stimmen der Herren, das amüsierte Lachen der Damen. Und sie war eine von ihnen. Mittelpunkt der vornehmen Gesellschaft, bewundert, begehrt und beliebt. Und stets hatte sie einen Kavalier zur Seite. Einen großgewachsenen, blonden blauäugigen Mann. Er führte sie mit sicherer Hand durch die dichtgedrängte Gästeschar. An seinem Arm fühlte sie sich geborgen, er brachte sie zum Lachen, und seine Anwesenheit war es, die diesen Ball zu einem unvergeßlichen Erlebnis machte. Sie konnte ihn förmlich spüren. Sein Mund war ganz nahe an ihrem Ohr. Sie hörte seine Stimme, die flüsterte: »Na, noch ein Tänzchen, Missy, meine Süße?« Schlagartig fuhr sie aus ihren Träumen auf und klatschte ihr Wischtuch verärgert gegen den Kaminsims. Eine dunkle, langbeinige Spinne machte sich eilig aus dem Staub. Was waren das bloß für dumme Gedanken gewesen? Wie konnte sie es zulassen, daß Al, ihr Diener, ihr Pferdeknecht Al, sich in ihre Träume schlich? Energisch raffte sie ihre Röcke und eilte über die breite marmorne Treppe in das obere Geschoß hinauf.
    Die Sonne stand bereits tief und würde in nicht allzulanger Zeit hinter dem Horizont verschwunden sein. Dann war es zu dunkel, um die Erkundung fortzusetzen. Wenn sie also heute noch etwas entdecken wollte, dann war es Zeit, daß sie sich aus den Träumen riß und tatkräftig ans Werk ging. Die erste Tür, die sie öffnete, quietschte in ihren Angeln. Kitty sah sich im Zimmer um. Ein schmales Himmelbett war zu sehen, ein ebenso schmaler Schrank, eine kleine Frisierkommode mit einem blinden Spiegel und einer angeschlagenen Waschschüssel. Der einzige Stuhl des Raums sah nicht vertrauenerweckend aus und lehnte auf drei Beinen gegen die Mauer. Das Zimmer dürfte vermutlich einst als Gästezimmer gedient haben, ebenso die beiden benachbarten Räume. Der vierte Raum, in den sie ihren Kopf steckte, war in früheren Zeiten das Schulzimmer gewesen. Eine einfache Wandvertäfelung reichte bis zur Zimmerdecke. Eine große schwarze Schiefertafel schien auf neue Schüler zu warten. Die Tische und Sessel waren klein und staubig.
    Nur wenige Bücher lagen auf dem hohen Regal. An das Schulzimmer schlossen sich die Kinderzimmer an. Wie viele Zimmer im Hause, waren auch diese Räume mit Wandvertäfelungen ausgestattet. Die Betten und die Sitzmöbel waren auch hier mit Schutzhüllen überdeckt. Auf den Kommoden und Vitrinen verstaubten Spielzeug und Bücher. Sicher war eines der Zimmer einst von Lady Silvie Westbourne bewohnt worden. Das mittlere vielleicht? Die einarmige Puppe, die achtlos auf dem Schreibtisch lag, schien darauf

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