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Schneegestöber (German Edition)

Schneegestöber (German Edition)

Titel: Schneegestöber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophia Farago
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würde sich in den nächsten Jahren die Taille wieder ihrer natürlichen Höhe anpassen. Dies wollen wir vorwegnehmen. Ich stelle mir vor, daß ein enges Leibchen mit gekreuzten Bändern hübsch aussehen müßte. Ich werde Ihnen ein Band in derselben Farbe für Ihre Haare mitgeben. Na, was sagen Sie dazu? Ist dies nicht schlicht und elegant?« Sie blickte Mary Ann so erwartungsvoll entgegen, daß diese sich um ein Lächeln bemühte. Und doch war ihr eher zum Weinen zumute. Das sollte das Traumkleid werden, in dem sie Reverend Westbourne bezaubern sollte? Dieses einfache Kleid, ohne Stickerei, ohne Rüschen als Aufputz? Das war ja nicht viel besser als ihre verhaßten grauen Schulkleider. Da konnte sie ja gleich in dem alten weinroten Abendkleid den Ball besuchen.
    Für Mrs. Millcock war die Enttäuschung ihrer Kundin nur zu offensichtlich. Beruhigend tätschelte sie ihr die Hand: »Warten Sie nur ab, Miss Rivingston. Lassen Sie mich nur machen. Ich verstehe mein Handwerk, glauben Sie mir. Sie werden hinreißend aussehen.«
    Die Maße waren rasch notiert, und zehn Minuten vor vier Uhr trat Mary Ann aus dem Salon auf die Straße hinaus. Harris wartete bereits ungeduldig. Er hatte das Rad, das der Schmied auf der Landstraße provisorisch repariert hatte, in der Werkstätte ordendich herrichten lassen. Nun stand nicht mehr zu befürchten, daß ihnen auf dem Heimweg, bei einbrechender Dunkelheit, dasselbe Mißgeschick noch einmal passieren würde. Der alte Mann stieg vom Kutschbock und öffnete den Schlag: »Nun aber rasch, Miss Mary Ann. Zum Glück sind es nur wenige Meter bis zum Postamt. Ich hoffe, Sie können dort Ihre Angelegenheit schnell erledigen. Es ist schon verflixt dunkel geworden. Zeit, daß wir nach Hause kommen.«
    Vor der Poststation stand die große weit ausladende Postkutsche aus Bristol. Die letzten Fahrgäste stiegen aus dem Wageninneren. Schwere Koffer und Hutschachteln wurden unter lautem Geschrei und Rufen vom Dach geladen. Das paßt ja großartig, dachte Mary Annim stillen. Jetzt konnte Al Brown behaupten, er sei soeben mit der Postkutsche angekommen, ohne einen Verdacht zu erregen. Durch die niedrige Tür betrat sie den Innenraum des Hauses, dicht gefolgt von Harris. Keinesfalls wollte er das Mädchen in dieser Ansammlung fremder Menschen der niedrigsten Stände alleine lassen. Mary Ann sah sich um: Wo war Al Brown? Sie konnte ihn nirgends entdekken.
    »Sehen Sie nur, Miss Mary Ann.« Der Diener deutete auf einen der beiden Postschalter: »Dort hinten können Sie Ihren Brief aufgeben. Es steht zwar eine größere Menschenmenge vor dem Schalter, aber es scheint, als würde sie rasch abgefertigt. Dort drüben Miss, sehen Sie.«
    Natürlich sah Mary Ann die Schlange vor dem Schalter. Allein, sie hatte keine Lust sich anzustellen. Wo war Al? Die große Uhr an der Stirnseite des Raumes zeigte fünf Minuten vor vier. Der Bursche müßte längst da sein. Halbherzig reihte sie sich in die Reihe der Wartenden ein. Immer und immer wieder glitt ihr Blick über die anwesenden Personen.
    »Die Postkutsche nach Wells und Glastonburry ist einsteigebereit!« rief ein kleiner Mann mit schwarzer Uniform von der Eingangstüre her: »Kaufen Sie sich rasch Ihre Fahrkarten. Wir fahren in zehn Minuten. Diese Auskunft gilt für die Postkutsche nach Wells und Glastonburry!«
    Die Menschenschlange vor ihr wurde immer kürzer. Mary Ann blickte verzweifelt durch den großen Raum. Wo blieb der Brusche bloß? Und dann war sie an der Reihe. Schweren Herzens gab sie Mrs. Cliffords Brief an Lady Farnerby in die Hände des Schalterbeamten. Nun würden sie also doch noch einen Pferdeknecht aus Myladys Stall bekommen. Sie hatte sich das alles so schön ausgedacht. Sie hatte sich schon so auf Kittys Gesicht gefreut, wenn sie ihr mitteilen konnte, daß sie selbst einen Pferdeknecht gefunden hatte. Mit bedrückter Miene folgte sie Harris zur Kutsche. Was für ein mißlungener Nachmittag: Zuerst der Unfall mit der Kutsche, das Kleid, das so gar nicht ihren Träumen entsprach, und dann hatte sie auch noch einen großen Teil des Geldes für einen treulosen Pferdeknecht ausgegeben – Kittys Geld.
    Traurig und mutlos blickte sie aus dem schmutzigen, grauen Fenster der Kutsche, während sich Harris vorsichtig den Weg durch die Menschenmenge bahnte. Mit einem letzten Funken Hoffnung erwartete sie, plötzlich Al Browns großgewachsene Gestalt in der Menge zu entdecken. Vergeblich.

V.
    » Como? Du hast was getan?« Kitty konnte es nicht

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