Schneegestöber (German Edition)
leicht den Kopf neigte und seine Lippen zu einem kaum merklichen Lächeln verzog. Kitty ließ einen unwilligen Laut hören.
»Der Mann hier heißt Al Brown«, erklärte Mrs. Clifford, die von dem kleinen Zwischenspiel nichts bemerkt hatte. »Er ist zweiundzwanzig Jahre alt und hat bereits in mehreren sehr guten Häusern gedient. So, Mr. Brown, das ist Miss Stapenhill, Ihre neue Herrin. Sie werden sich um ihre Pferde kümmern und ihr zur Verfügung stehen, wann immer sie eine Ausfahrt unternehmen möchte. Und Sie werden ihre Besorgungen erledigen. Ich erwarte von Ihnen ordentliches Benehmen und ein striktes Befolgen der Hausordnung. Ich habe Ihnen eine genaue Aufstellung Ihrer Pflichten bereits übergeben.«
»Wenn der Kerl überhaupt in der Lage ist zu lesen«, murmelte Kitty böse.
Zu ihrer Überraschung hielt es der Bursche gerade jetzt für angebracht, seine ersten Worte zu äußern: »Ja freilich kann ich das, Missy. Und nicht mal schlecht. Wenn auch nicht so gut wie Ihnen«, erklärte er in breitestem Yorkshire-Dialekt.
Mrs. Clifford zog indigniert eine Augenbraue in die Höhe: Wie kam diese verwöhnte Miss Stapenhill dazu, dem armen Kerl so deutlich zu zeigen, was sie von der minderbemittelten, ungebildeten Klasse hielt? Wahrlich nicht damenhaft, dieses Betragen, und wahrlich nicht den Zielen der Schule entsprechend. Eigentlich hatte sie vorgehabt, nach Heather zu läuten. Doch nun beschloß sie, der hochnäsigen Schülerin eine Lektion zu erteilen: »Miss Stapenhill wird Ihnen den Stall zeigen, Mr. Brown. Der Stallmeister wird dann alles weitere veranlassen.«
Kitty wollte eben Protest einlegen, entschied sich aber dafür, den Befehl ohne Widerrede auszuführen. Sie wollte dem Burschen nicht die Genugtuung gönnen, von Mrs. Clifford als ungezogenes Schulkind behandelt zu werden. Al Brown hielt ihr die Tür auf, zumindest das hatte er gelernt. Sie gingen schweigend nebeneinander den Gang hinunter. Kitty betrachtete ihren neuen Diener verstohlen von der Seite. Er war außergewöhnlich groß, die blonden Haare waren kurz geschnitten und aus der Stirn gekämmt. Die braune Jacke saß ordentlich, die Reitstiefel waren blank geputzt. Aber das war keine Überraschung. Tante Jane würde keine ungepflegten Diener dulden. Was sie irritierte, war die ungewöhnliche Selbstsicherheit, die von diesem jungen Mann ausging. Für einen Stallknecht völlig unpassend.
»Na, wie ist die Musterung ausgefallen, Missy?« unterbrach der Bursche ihre Gedanken. »Findet mein Aussehen Gnade vor Ihrem gestrengen Auge? Wenn Sie mich nicht haben wollen, Missy, dann müssen Sie es mir nur sagen.«
Kitty errötete leicht. Zu dumm, daß der Bursche ihre Musterung bemerkt hatte: »Warum soll ich Sie nicht haben wollen?« sagte sie leichthin. »Sie sind ein Knecht, so gut wie jeder andere. Hauptsache ist, daß Sie mit Pferden umgehen können. Und das können Sie doch wohl?«
Al nickte: »Ja, freilich kann ich das«, entgegnete er und grinste breit.
Kitty zuckte bei diesen Worten zusammen. Sie konnte diesen entsetzlichen Dialekt nicht ausstehen. »Ich werde Ihnen ein gepflegtes Englisch beibringen«, entschied sie zu ihrer eigenen Überraschung.
»Es ist ja nicht auszuhalten, wie Sie sprechen.«
Als Augen leuchteten vor Vergnügen. Er verbeugte sich leicht und sagte, daß ihm das »einen Mordsspaß« bereiten würde. Sie hatten die breite Treppe zum Haupteingang hinunter erreicht und waren eben dabei, in die Eingangshalle hinabzusteigen. Da kam ihnen Mary Ann entgegen: »Da bist du ja, Kitty!« rief sie aus. »Ich hielt es einfach nicht mehr aus. Ich mußte wissen, was Mrs. Clifford… Al!« Sie hatte die großgewachsene Gestalt an Kittys Seite erst jetzt richtig wahrgenommen: »Al Brown! Wo kommen Sie denn her?«
Der so Angesprochene verbeugte sich höflich: »Sie haben mich doch gestern gekauft, erinnern Sie sich nicht mehr, Madam?«
»Psst!« Kitty legte warnend ihren Zeigefinger an die Lippen. »Wenn Sie jemand hört. Komm mit uns, Mary Ann. Wir sind eben auf dem Weg zum Stall. Das ist also der Bursche, den du gestern auf der Straße aufgelesen hast? Ich dachte mir schon, daß Tante Jane keinen derart dreisten Diener herschicken würde. Und noch dazu einen, der nicht einmal ordentlich sprechen kann.«
»Kitty!« rief Mary Ann entgeistert.
»Mir scheint, Sie hätten mich nicht in Ihren Dienst nehmen sollen, Miss Mary Ann. Miss Stapenhill kann mich nicht ausstehen«, verkündete Al, und es hatte nicht den Anschein, als würde ihn
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