Schneegestöber (German Edition)
diese Tatsache ernstlich betrüben.
»Es geht hier nicht darum, ob ich Sie mag«, entgegnete Kitty streng.
»Wichtig ist, daß Sie Ihre Pflichten erledigen.«
Sie schritten über den kiesbestreuten Vorplatz und den breiten Weg hinter dem Schulgebäude entlang, wo sich die ausgedehnten Stallungen befanden. Mr. Harris war eben dabei, ein Pferd aus dem Stall zuführen, als er die drei entgegenkommen sah. »Guten Morgen, Miss Kitty, guten Morgen, Miss Mary Ann. Was kann ich für Sie tun?«
»Dies hier ist mein neuer Pferdeknecht. Er heißt Al Brown. Würden Sie ihn bitte unter Ihre Fittiche nehmen, Mr. Harris? Und ihm alles Nötige beibringen. Sicher haben Sie dabei einiges zu tun«, fügte Kitty mit aufreizendem Lächeln hinzu.
Der Stallmeister kratzte sich erstaunt am Kopf: »Der neue Pferdeknecht, Miss Kitty?« erkundigte er sich. »Das ist aber flott gegangen: Wir sind doch erst gestern in Bath gewesen und haben den Brief aufgegeben. Und jetzt ist der neue schon da.« Er ergriff Al mit seiner freien Hand am Ärmel: »Laß dich mal ansehen, Junge.« Kritisch beäugte er den Neuankömmling: »Na, Kraft scheinst du ja zu haben. Muskulöse Arme, starke Beine. Nicht schlecht. Und doch schaust du nicht aus wie ein Pferdeknecht.«
Mary Ann hatte sich dasselbe auch schon gedacht. Al Brown wirkte heute so verändert. Was neue Kleidung, ein glatt rasiertes Gesicht und ein frischer Haarschnitt ausmachten! Al wartete gespannt, daß der Stallmeister fortfuhr. »Nein«, sagte dieser, »du siehst eher aus wie ein verdammter Kammerdiener.«
Da lachte Al herzlich auf: »Vielleicht werde ich mal so einer!«
»Nicht mit diesem Dialekt«, entschied Kitty kategorisch.
»Aber den hab ich ja bald nicht mehr«, erwiderte Al fröhlich. »Miss Stapenhill wird mir Unterricht im Sprechen geben. Ist das nicht eine Mordsidee?«
Mary Ann blickte ihre Freundin erstaunt an. Was hatte Kitty wohl veranlaßt, ihrem neuen Diener ein derart ungewöhnliches Angebot zumachen.
Kitty zuckte betont lässig mit den Schultern: »Irgendwer muß sich ja darum kümmern, daß der Mann sprechen lernt«, erklärte sie. »Und nun, Al Brown, überlasse ich Sie Mr. Harris. Er wird Ihnen Salomon und die übrigen Pferde zeigen. Dann können Sie Ihr Gepäck auf Ihr Zimmer bringen. Ich erwarte Sie um punkt zwei Uhr. Da möchte ich ausreiten.«
Der gemeinsame Ausritt trug einiges dazu bei, daß Kitty ihr anfänglich strenges Urteil über ihren neuen Reitknecht schnell revidierte. Sie hatte für ihn das feurigste Pferd der Schule satteln lassen. Es war erst kürzlich von einer Schülerin, die das Haus verlassen hatte, dem Institut geschenkt worden. Das Mädchen hatte tränenreich von seinem Liebling Abschied genommen. Ihr Vater war Archäologe, und sie würde mit ihren Eltern zwei Jahre in Ägypten leben. Es war unmöglich, »Firefly« dorthin mitzunehmen. So blieb das edle Tier im Stall der Schule zurück, und Harris sorgte dafür, daß es ausreichend bewegt wurde. Als Augen leuchteten auf, als ihn Kitty zu der Koppel führte, in der der Hengst unruhig tänzelnd darauf wartete, ins Freie zu gelangen.
»Den werden Sie nehmen. Falls Sie sich zutrauen, ihn zu reiten«, sagte sie herausfordernd.
Al hörte diese Provokation nicht: »Was für ein prachtvolles Tier!« rief er begeistert. Ohne zu zögern trat er zu dessen Kopf und tätschelte ihm liebevoll den Hals: »Nur ruhig, mein Guter. Gleich kommst du hier raus. Wo finde ich einen Sattel, Miss Stapenhill?« Kitty, die staunend die Verwandlung des wilden Hengstes beobachtet hatte, der nun ruhig neben dem Burschen stand, wies mit der Hand auf einen Verschlag, hinter dem Sattel und Zaumzeug aufbewahrt wurden.
Sie ritten einige Zeit schweigend. Kitty, die mit der Gegend vertrautwar, voran, Al, wie es sich gehörte, zwei Pferdelängen hinter ihr. Sie hatten den Schulhof verlassen und ritten zuerst die schmale Straße entlang, die nach Bath führte, und bogen dann auf ein brachliegendes Stoppelfeld ein, das sich weitläufig gegen Westen ausdehnte. Am gegenüberliegenden Ende war es von einer hohen Hecke begrenzt. Kitty ließ Salomon in leichten Galopp fallen, steigerte dann das Tempo und sprang mit ihm im weiten Satz über die Hecke. Al setzte nahezu gleichzeitig neben ihr auf.
»Man springt nicht über Hindernisse, wenn man das Gelände dahinter nicht kennt«, rügte Kitty ihn streng.
»Aber Sie kennen’s doch, Missy, nicht wahr? Und Ihnen vertraue ich«, entgegnete Al grinsend. Er wollte sich wieder einige
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