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Schneegestöber (German Edition)

Schneegestöber (German Edition)

Titel: Schneegestöber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophia Farago
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glauben: »Du hast einem wildfremden, dahergelaufenen Schurken die Hälfte des Geldes gegebene? Freiwillig? Ohne, daß er dich gezwungen hat? Du mußt verrückt geworden sein!«
    Es war nach dem Abendessen und den daran anschließenden Darbietungen des Schulchores mit Klavierbegleitung durch Mrs. Clifford persönlich, als Mary Ann endlich Gelegenheit fand, ihre Freundin über die Geschehnisse dieses Nachmittags ins Bild zu setzen. »Ich dachte, du wolltest unbedingt einen Pferdeknecht, der nicht im Dienste deiner Tante steht«, verteidigte sie sich kleinlaut.
    »Aber doch keinen Mann, den man auf der Landstraße aufliest. Noch dazu einen, der so ungepflegt aussieht, wie du ihn mir eben beschrieben hast. Da bin ich ja geradezu froh, daß er nicht erschienen ist.« Sie schüttelte sich voller Abscheu: »Unrasiert, fettige Haare, sicher hat er übel gerochen. Und zu allem Überfluß ist er auch noch ein Betrüger! Schade um das schöne Geld.«
    Mary Ann nickte: »Ich hoffe, du bist mir nicht allzu böse. Natürlich zahle ich dir den Betrag zurück, wenn ich einmal in den Besitz meines Vermögens gekommen bin. Weißt du, ich war so sicher, mit der Anstellung des Burschen einen guten Fang gemacht zu haben. Du hättest den Bauern sehen sollen. Das war erst ein ungehobelter Mensch und brutal obendrein. Ich konnte einfach nicht mitansehen, wie er seinen Knecht behandelte. Er wollte ihn mit der Peitsche verprügeln, stell dir das vor!«
    Kitty zuckte uninteressiert die Schultern: »Wahrscheinlich hatte er esverdient«, war ihr einziger Kommentar dazu. »Und für so einen Gauner läßt du dir die Chance entgehen, das schönste Kleid auf Mrs. Nestlewoods Ball zu tragen. Wenn ich mir denke, daß du dir den Stoff nur deshalb nicht leisten konntest, weil du die Hälfte des Geldes dem Gauner gegeben hast! Es ist eine Schande.«
    »Du bist mir also doch böse«, stellte Mary Ann fest und seufzte. Kitty sah, daß ihrer Freundin Tränen in die Augen traten und wie ihre Lippen zitterten. Das konnte sie keinesfalls zulassen. Lächelnd ergriff sie ihre Handgelenke: » Querida , wie sollte ich dir böse sein!« rief sie aus. »Ich bin nur so erstaunt, ja völlig überwältigt. Du bist doch die kluge Miss Rivingston, unser aller Vorbild an Vernunft!«
    Nun mußte auch Mary Ann lächeln: »Du hast recht«, sagte sie. »Aber manchmal ist es sehr langweilig, immer vernünftig zu sein. Ich glaube, ich werde künftig viel öfter unvernünftig sein, das macht bei weitem mehr Spaß.«
    Am nächsten Vormittag, die Französischstunde bei Madame Berais hatte eben begonnen, steckte Heather, das Hausmädchen, schüchtern ihren Kopf zur Tür herein. Mrs. Clifford lasse Miss Stapenhill zu sich bitten. Kitty warf Mary Ann quer durch das Zimmer einen fragenden Blick zu. Ob ihre Freundin wohl den wichtigen Grund kannte, warum man sie mitten aus der Unterrichtsstunde in das Direktorat rief? Doch Mary Ann war ebenso ratlos wie sie selbst. Also entschuldigte sich Kitty bei Madame Berais und machte sich auf den Weg durch die langen Gänge des Schulhauses, um dem Ruf der Schulleiterin zu folgen. Nach kurzem Klopfen trat sie ein. Die Direktorin saß hinter ihrem Schreibtisch und blickte ihrer Schülerin wartend entgegen. Wie immer waren ihre schütteren grauen Locken unter einer voluminösen Haube versteckt. »Ach, da bist du ja, Charlotta«, sagte sie. Das freundliche Lächeln, mit dem sie Kitty begrüßte, unterschied sich deutlich von der Miene, mit der sie sie am Vortag verabschiedet hatte. »Es scheint, als müßte ich dir Abbitte leisten. Du hast also doch deine liebe Tante benachrichtigt, dir einen Pferdeknecht zu schicken.« Kitty lauschte diesen Worten mit zunehmender Verwunderung und einem Hauch von schlechtem Gewissen. Nun nahm sie auch die hochgewachsene Gestalt wahr, die schweigend neben dem breiten Schrankstand, in dem Mrs. Clifford ihre Akten und Bücher aufbewahrte. Der Mann musterte sie ungeniert. Das war also der Pferdeknecht, den Tante Jane geschickt hatte. Woher Mylady wohl wußte, daß sie Joe entlassen hatte? Ob er es ihr selber gesagt hatte? Mary Ann hatte Mrs. Cliffords Brief doch erst gestern zur Post gebracht. Den konnte Tante Jane nie und nimmer bereits erhalten haben. Wie seltsam. Wie kam dieser Mann dazu, sie so ungebührlich anzustarren? Das war ungeheuerlich. Warum hatte bisher noch niemand diesem Lümmel Manieren beigebracht? Sie warf dem Knecht einen bösen und, wie sie hoffte, Ehrfurcht einflößenden Blick zu. Worauf dieser

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