Schneegestöber (German Edition)
beugte sich interessiert in ihrem Stuhl vor: »Vor oder nach der Trauung?« wollte sie wissen.
»Während der Trauung«, stellte Mylord richtig. »Wir standen eben vor dem Altar. Ich hatte mein Versprechen bereits geleistet. Der Pfarrer fragte Lady Silvie, ob sie mich heiraten wolle. Sie kennen die Formel. Und da fiel sie in Ohnmacht. Freunde und Verwandte haben sie aus der Kirche getragen. Es war eine entsetzliche Szene. Man brachte sie in das Haus ihrer Eltern am Hanover Square zurück, das ganz in der Nähe der Kirche liegt. Als ich mich am Abend nach ihrem Wohlergehen erkundigen wollte, hieß es, Silvie sei verreist. Mit unbekanntem Ziel verreist.«
»Wenn das so ist, dann ist Miss Westbourne nicht Ihre Frau«, stellte Mary Ann sachlich richtig. »Sie hat ihr Eheversprechen noch nicht geleistet, also…«
»Miss Mary!« Der Earl biß wütend die Zähne aufeinander. »Ich habe das Eheversprechen geleistet. Das ist das einzige, das hier zählt. Und daher ist Silvie Westbourne meine Frau. Ihre Aufgabe ist es, nicht über den Bestand meiner Ehe zu urteilen, sondern meine Frau zu finden. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
Mary Ann war viel zu neugierig geworden, als daß sie der offen geäußerte Unmut Seiner Lordschaft ernstlich hätte beeindrucken können.
»Es war keine Liebesheirat«, erklärte sie. Dies war keine Frage, sondern eine Feststellung.
»Natürlich nicht«, fuhr Seine Lordschaft sie an. »Sie vergessen, daß Sie es hier mit dem Hochadel zu tun haben. Vernunftehen sind an der Tagesordnung und werden durchaus glücklich, wie die Erfahrung lehrt«, fügte er trotzig hinzu.
»Miss Silvie war nicht glücklich«, stellte Mary Ann fest. »Sonst wäre sie Ihnen nicht davongelaufen.«
»Das kann auch andere Gründe gehabt haben, Miss Mary«, zischte Seine Lordschaft verärgert.
»Mary Ann. Ich heiße Mary Ann. Würde es Ihnen etwas ausmachen, mich so zu nennen?«
Seine Lordschaft war von dieser überraschend vorgebrachten Bitte völlig aus dem Konzept gebracht. »Von mir aus«, sagte er, und es klang etwas verwirrt.
»Danke.« Mary Ann schenkte ihm ihr reizendstes Lächeln, bevor sie fortfuhr: »Doch zurück zu Miss Westbourne. Wo wohl würde ein junges Mädchen Zuflucht suchen, wenn es zu einer Heirat mit einem Ungeliebten gezwungen wird?« Sie richtete diese Frage mehr an sich selbst als an Seine Lordschaft. Erschrocken bemerkte sie, daß dieser entrüstet nach Luft schnappte: »Miss Mary Ann!« hörte sie auch schon seine empörte Erwiderung. »Wären sie wohl so gut, auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben? Niemand hat Miss Westbourne zu einer Heirat gezwungen. Und ich bin auch kein Ungeliebter. Ich verbiete Ihnen ein für allemal, mich so zu nennen. Ich habe für theatralische Ausbrüche nicht das geringste übrig. Silvie Westbourne hat meinen Antrag angenommen. Freiwillig und mit Freuden, wie sie mir selbst versicherte. Warum auch nicht, ich bin eine gute Partie.«
Mary Ann ließ sich durch diesen leidenschaftlichen Ausbruch nichtbeirren: »Ihr Vater hat sie gezwungen«, überlegte sie. »Ein unangenehmer, cholerischer Herr, der alte Lord.«
St. James war sofort abgelenkt. »Sie kennen ihn?« erkundigte er sich erstaunt.
Mary Ann kannte ihn nicht. Sie hatte ihr Wissen von Reverend Westbourne, der ihr eines stillen Abends sein Herz ausgeschüttet hatte. Natürlich war sie nicht bereit, diese Quelle preiszugeben. »Die Westbournes stecken ständig in Geldverlegenheiten«, erklärte sie daher anstelle einer Antwort. »Joseph verliert Unmengen am Spieltisch, das Offizierspatent für Richard kostete ein Vermögen, auch Mr. Mancroft, der Schwiegersohn, hat erhebliche Schulden, wie man hört. Da muß ihnen Ihr Antrag ja wie ein Geschenk des Himmels erschienen sein.«
St. James überhörte diesen Spott. »Mancroft ist auch verschuldet?« vergewisserte er sich, für kurz von seinem eigentlichen Thema abgelenkt. »Eine prachtvolle Familie, fürwahr.«
Mary Ann nickte: »Eben«, sagte sie, als sei dies das Selbstverständlichste auf der Welt: »Ich weiß noch nicht, was Sie dazu veranlaßte, um die Hand von Miss Westbourne anzuhalten, Mylord. Doch ihren Vater haben Sie damit vor dem drohenden Schuldturm bewahrt. Also mußte Miss Silvie dieser Heirat zustimmen. Ob sie wollte oder nicht.«
Mylord schüttelte langsam den Kopf: »Sie irren sich. Sie müssen sich einfach irren. Ich habe Miss Silvie persönlich gefragt, und sie hat mit Freuden in eine Ehe eingewilligt.«
Mary Ann lachte bitter auf. »Was
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