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Schneeköniginnen

Schneeköniginnen

Titel: Schneeköniginnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mischke
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sich
ihr auf. Sie spürte eine kalte, scheußliche Angst herannahen, leise und
ungreifbar, wie ein gräßliches Tier aus der Dunkelheit.
    Fieberhaft durchstöberte sie erneut
die Garage, aber viel mehr als vorhin gab es nicht zu entdecken. Sie sah in
ihre Handtasche. Was für Dilettanten, ihr nicht einmal die abzunehmen. Es könnte
ja ein Revolver oder eine Handgranate drin sein. Sie verscheuchte diese
Wunschgedanken und konzentrierte sich auf die Tatsachen: ein Feuerzeug. Damit
könnte sie die Lappen anzünden. Und dann? Die Kreditkarten. Sie versuchte ihr
Glück bei der Seitentür. »Ganz ruhig, Anne, nicht so zittern! Im Fernsehen geht
das doch immer so einfach«, murmelte sie und versenkte die goldene Amex im
Türspalt.
    »Scheiße!« Gold hin oder her, die
Karte war hinüber, die Tür zu. Auch Diners Club und Mastercard versagten kläglich,
ihre Visakarte vermißte sie schon seit Tagen. Eine Haarnadel bräuchte ich,
dachte Anne, damit bohrte man ein bißchen im Schloß herum, und schon springt es
auf. Aber sie besaß keine Haarnadel, außerdem würde das bestimmt ein ähnlicher
Reinfall. Blieb noch die Nagelfeile. Absolut chancenlos gegen die schwere
Eisentüre.
    »Ha, ich könnte ihn zu Tode
maniküren«, höhnte sie und trat vor Wut heftig gegen das Autowrack. Es
wackelte, und dabei ertönte ein leises Plätschern. Sie trat noch einmal
dagegen. Wieder das Geräusch. Benzin. Da war noch Benzin im Tank. In ihrem Kopf
begannen tausend Rädchen zu klicken. Das Benzin... der Gartenschlauch... ihr
Feuerzeug... damit müßte sich doch irgend etwas anstellen lassen.
    Anne arbeitete mit fliegenden Händen.
Ich muß fertig werden, ehe er zurückkommt, wiederholte sie gebetsmühlenartig in
einem stummen Monolog. Immerhin ging es darum, die verbliebenen Reste ihrer
Tugend zu verteidigen, sagte sie sich mit einem verzweifelten Anflug von
Galgenhumor. Doch der nützte ihr jetzt wenig. Angst drang unaufhaltsam wie ein
wucherndes Geschwür vom Magen in jede einzelne Körperzelle vor.
    Es dauerte kostbare Minuten, ehe sie
den festgerosteten Tankdeckel aufbekam. Mit der scharfen Kante einer vergessenen
Blechdose schnitt sie ein Stück des Gartenschlauches ab, versenkte ihn im
Benzintank und saugte an, zuerst vorsichtig, dann kräftiger. Natürlich
passierte genau das, was sie gerne vermieden hätte, sie bekam die ganze Ladung
in den Mund. Hustend und spuckend fing sie das kostbare Rinnsal mit der leeren
Coladose auf. Mit den Lappen säuberte sie den rauhen Steinboden so gut es ging
vom verkleckerten Benzin. Trotzdem stank es verdächtig. Sie ließ den
Gartenschlauch verschwinden, spülte sich den Mund mit dem Rest Cola aus dem
Pappbecher und hatte eben eine lässige Pose auf ihrer Matratze eingenommen, als
sich die Tür erneut öffnete. Es war Rattengesicht, eine Bierdose in der Hand,
frohe Erwartung im Blick. In seinem albernen Halbstarkengang walzte er auf sie
zu.
    »He Honey, ich werde jetzt ein bißchen
nett zu dir sein.«
    Anne schluckte stumm. Wie konnte ein
einzelner Mensch nur dermaßen dummgeil grinsen.
    »Aber, wenn du hier rumbrüllst, muß
ich leider grob werden.«
    »Warum sollte ich?« hauchte Anne.
Lächeln, befahl sie sich, lächeln! Sie hatte die Beine grazil verknotet und den
Rock ein großzügiges Stück weiter als nötig hochgeschoben. »Setz dich, ich habe
dich erwartet.« Das war noch nicht einmal gelogen. »Mir ist sowieso langweilig,
und du gefällst mir.« Das schon.
    Rich näherte sich mißtrauisch.
»Versuch keine Tricks, ich bin nicht blöde.«
    »Hast du mal ‘ne Zigarette?« fragte
sie flehentlich. »Ich würde wirklich alles machen, für eine Zigarette.«
Lieber Gott, laß ihn eine Zigarette dabeihaben!
    »So?« Rich setzte wieder dieses üble
Grinsen auf. »Na, dann wollen wir mal sehen.« Er kniete sich vor Anne auf den
Boden und tastete mit seiner fleischigen Hand an ihrem Schenkel entlang. Auf
seinem Handrücken wuchsen dicke Haare, man hätte Schuhe damit bürsten können.
Anne wurde flau. Nein, dachte sie in einem Anflug wilder Panik, das stehe ich
nicht durch. Sie hielt die Hand so sachte wie möglich fest. »Erst die
Zigarette. Bitte! Sonst bin ich überhaupt nicht bei der Sache, wenn du weißt,
was ich meine...« Ihre Stimme klang spröde wie zerbrochenes Glas, hoffentlich
deutete Ratte das als Entzugserscheinung.
    »Die Mädchen, die ich kenne, rauchen
immer hinterher«, wandte er ein und schob seine Hand unter Annes T-Shirt. Anne
erstarrte. Das war das Widerlichste, das ihr je passiert

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