Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schneemann

Schneemann

Titel: Schneemann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
Vom Netzwerk:
und sich mit den Handflächen die Stirn rieb, als wollte er seinen Kreislauf wieder in Gang bringen.
    “Johan”, sagte er schließlich. “Du kannst gehen, ich kriege das allein hin.”
    “Arve”, warnte der Anwalt. “Ich glaube, du solltest besser nicht … “
    “Geh nach Hause und leg dich schlafen, Johan.Ich ruf dich später an.”
    “Als dein Anwalt muss ich dir … “ 
    “Als mein Anwalt hältst du jetzt den Mund und verschwindest, Johan. Verstanden?”
    Johan Krohn richtete sich auf, mobilisierte die Reste seiner Anwaltswürde, änderte aber seine Meinung, als er Støps Gesichtsausdruck bemerkte. Er nickte kurz, machte auf dem Absatz kehrt und ging.
    “Wo waren wir?”, fragte Støp. “Am Anfang”, antwortete Harry.

KAPITEL 27
    20. Tag. Anfang
    Arve Støp sah Birte Becker zum ersten Mal an einem kalten Wintertag in Oslo, als er im Sentrum Auditorium einen Vortrag für eine Event-Agentur hielt. Er war auf einem dieser Motivationsseminare, für das Betriebe ausgelaugte Mitarbeiter anmelden konnten, damit sie ihre Akkus wieder aufluden und sich von diesen Vorträgen motivieren ließen, noch härter zu arbeiten. Arve Støp wusste aus Erfahrung, dass die meisten Referenten, die bei diesen Anlässen zu Wort kamen, entweder Geschäftsleute waren, die mit wenig originellen Ideen einen gewissen Erfolg gehabt hatten, Sportler, die in einer seltenen Sportart Gold gewonnen hatten, oder Bergsteiger, die es sich als Lebensaufgabe erkoren hatten, auf hohe Berge zu klettern, um dann heil wieder herunterzukommen und darüber zu berichten. Ihnen allen war gemeinsam, dass ihr Erfolg auf einem festen Willen und einer unerschütterlichen Moral beruhte. Sie waren motiviert. Und das sollte die anderen motivieren.
    Arve Støps Vortrag war der letzte Programmpunkt - das war seine Bedingung, wenn er überhaupt kommen sollte. Diese Platzierung erlaubte es ihm, die anderen Referenten als geldgierige Narzissten schlechtzumachen, sie in die drei Kategorien einzuteilen, um dann darzulegen, dass er selbst in die erste Kategorie gehörte - Erfolg mit einer wenig originellen Geschäftsidee. Das Geld, das Firmen in diese Motivationsseminare investierten, sei meist verschwendet, da die Mehrheit der Anwesenden doch nicht ein derart krankhaftes Bedürfnis nach Anerkennung hätte wie die Personen, die hier oben am Rednerpult stünden. Ihn selbst eingeschlossen. Bei ihm sei dieser Charakterzug vielleicht damit zu begründen, dass sein Vater sich nie sonderlich um ihn gekümmert habe. Daher versuchte er, Liebe und Bewunderung bei anderen Menschen zu finden, und er wäre sicher Schauspieler oder Musiker geworden, hätte er Talent dafür gehabt.
    Zu diesem Zeitpunkt hatte sich das ungläubige Staunen des Publikums längst in Lachen gewandelt. Und Sympathie. Und Støp wusste, dass daraus zu guter Letzt Bewunderung werden würde. Denn er stand dort oben und glänzte. Glänzte, weil er, wie alle wussten, den Erfolg repräsentierte. Und den Erfolg kann man nicht wegargumentieren, nicht einmal, wenn es sich um den eigenen handelt. Støp hob das Glück als wichtigsten Erfolgsfaktor hervor, bagatellisierte sein Talent und betonte, dass durch die generelle Unfähigkeit und Faulheit, die in der norwegischen Wirtschaft herrschten, selbst die Mittelmäßigkeit eine Chance habe.
    Zum Schluss erntete er stehende Ovationen.
    Und er lächelte, während er seine Augen auf die dunkle Schönheit richtete, die in der ersten Reihe saß und sich später als Birte vorstellen sollte. Er hatte sie sofort bemerkt, als er den Raum betreten hatte. Dabei war ihm durchaus klar gewesen, dass die Kombination von schlanken Beinen und großer Oberweite häufig mit Silikon zu tun hat. Støp war jedoch kein Gegner künstlicher Verschönerung des weiblichen Körpers. Nagellack oder Silikon, das war im Prinzip doch das Gleiche.
    Während ihm der Applaus noch entgegendonnerte, stieg er von der Bühne, ging an der ersten Reihe vorbei und begann die Hände der Zuhörer zu schütteln. Eine idiotische Geste, so etwas konnte vielleicht der amerikanische Präsident tun, aber das störte ihn nicht, denn er provozierte gern. Vor der dunklen Schönheit mit den frischen, roten Wangen blieb er stehen. Sie sah ihn mit wachem Blick an. Als er ihr die Hand reichte, verneigte sie sich wie vor einem König. Er spürte die harte Kante seiner eigenen Visitenkarte auf der Haut, als er ihre Hand nahm. Sie hielt nach einem Ehering Ausschau.
    Der Ring war matt. Und die rechte Hand schmal und

Weitere Kostenlose Bücher