Schneenockerleklat
Untersuchungen aber keine Diagnose stellen konnte. Oder wollte.
Immerhin, sein ernstes Gesicht war Anlass genug zur Sorge gewesen.
Daraufhin war Tante Anita ins Allgemeine Krankenhaus gebracht
worden. Zur Beobachtung, und das bis auf Weiteres.
Damit war aber der heiße Erdapfel ›Alberts Entführung‹ bei
der Familie hängen geblieben.
Und so hatte Wilma schließlich angeboten, Palinski zu bitten,
sich des Problems selbst anzunehmen oder, falls dies wegen der Veranstaltung am
Semmering nicht möglich war, zumindest Hilfestellung zu leisten.
Bei der Gelegenheit war eines nicht zu überhören gewesen.
Elisabeth und Wilfried Bachler gingen davon aus, dass »dein Mario seine
Prioritäten kennen müsste. Und wo die liegen sollten, ist ja wohl klar.«
Wilma wusste natürlich, dass die Dinge nicht so einfach
waren, wie ihre Eltern das sehen wollten. Denen war nämlich egal, ob Marios
beruflich-fachliche Reputation den Bach hinunterging oder nicht.
Und dennoch, ganz unrecht hatten sie auch wieder nicht.
Immerhin ging es um die Familie und damit um sie. Zumindest indirekt.
Palinskis Lebensmensch hatte das dumme Gefühl, jetzt
irgendwie zwischen die Fronten geraten zu können. Aus dieser unangenehmen Lage
konnte ihr nur ein Einziger heraushelfen, und genau den wollte sie jetzt
anrufen.
Kurz darauf war es so weit, und Wilma hatte Mario auf seinem
Handy erreicht. Er klang noch etwas verschlafen, war erst gegen 4 Uhr ins Bett
gekommen.
»Aber gut, dass du mich weckst!«, murmelte er verschlafen.
»Um 11 Uhr beginnt die internationale Pressekonferenz.«
Nachdem ihn Wilma über den letzten Stand der
Causa prima der Familie Bachler informiert hatte, versprach er ihr, sich
natürlich weiter um diese Sache kümmern zu wollen.
»Aber wir sollten jemanden finden, der sich von Wien aus um
die notwendigen Dinge kümmert!«, regte er an. »Sprich doch mit Franka Wallner,
sie hat mir erst vor wenigen Tagen einen guten Privatdetektiv empfohlen. Einen
ehemaligen Polizeihundeführer, ich glaube, Helmbach oder Herrnreich oder so
ähnlich heißt der Mann. Ruf ihn an und sag ihm, er soll sich mit mir in
Verbindung setzen. Wirst du heute kommen?«
Wilma zögerte etwas. »Ich denke nicht!«, erwiderte sie dann.
»Ich kann doch nicht weg, bei dem Schlamassel, in dem sich die Familie gerade
befindet!«
»Du hast völlig recht!« Palinski klang etwas schuldbewusst.
»Ich habe jetzt gar nicht an diese scheußliche Geschichte gedacht. Ich komme
natürlich auch. Ich werde versuchen, gleich nach dem Prominenten-Rennen
wegzukommen. Ich küsse dich.«
Damit war das Gespräch beendet. Wilma war irgendwie, ja, man
konnte ruhig glücklich sagen, dass sich Mario nach mehr als 26 Jahren noch
immer so kleine Nettigkeiten einfallen ließ. Um ihr zu zeigen, dass er sie nach
wie vor liebte. Natürlich war es nicht mehr ganz so leidenschaftlich wie
damals, jetzt war es anders. Ruhiger, aber genau in dieser Ruhe lag ja auch die
Kraft für ein gemeinsames Leben. Ja, es war anders, aber es war …
Zu dumm, schoss es ihr durch den Kopf und zerstörte die
hübschen Gedanken von vorhin. Sie hatte total vergessen, Mario eine Nachricht
auszurichten. Dabei hatte sie das ihrer Mutter ausdrücklich versprochen.
Na gut, dann eben auf ein Neues.
Wilma drückte die Taste für die Wahlwiederholung und nahm das
Handy wieder ans Ohr.
Nach weiteren Versuchen gab sie auf. Palinski nahm das
Gespräch nicht an. Komisch, dabei hatte sie doch gerade vorhin noch mit ihm
gesprochen. Wohin war er denn plötzlich verschwunden?
Nun, vielleicht hatte er das gute Stück ja irgendwo liegen
gelassen, das kam bei ihm schon hin und wieder vor. Wo war denn bloß der
Prospekt? Da stand die Telefonnummer des Hotels drinnen. Bald hatte sie den
Portier des ›Semmering Grand‹ am Apparat, der ihr wahrheitsgemäß versicherte,
Herrn Palinski heute noch nicht gesehen zu haben, um sie dann auf ihren Wunsch
hin mit seiner Suite zu verbinden.
»Aber selbstverständlich, gerne, gnädige Frau. Küss die Hand
und guten Morgen!«
Und wieder spannte Mario sie auf die Folter.
Endlich, nach dem neunten Signalton, Wilma hatte extra
mitgezählt, wurde der Hörer abgenommen.
»Ich habe vorhin etwas«, wollte sie schon sagen,
als sich eine verschlafene, unverkennbar weibliche Stimme mit »Hallo, hier
Geneva, wer spricht denn da?« meldete.
Völlig überrascht stammelte Wilma etwas von »Hier Bachler,
ist das das Zimmer von Herrn Palinski?«
»Ja,
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