Schneerose (German Edition)
dunkelhäutige Schönheit zurück, während sie Mary beschützend an ihre
Brust drückt.
Ein abfälliges Schnauben ist die einzige Antwort,
die sie darauf von Claudia bekommt, die ihren Blick fordernd auf Chasity
richtet.
„Es ist nicht, weil sie süchtig ist, oder? Jeder
andere wäre schon längst zum Tode verurteilt worden. Der wahre Grund, dass du
sie immer wieder verschonst, ist Orlando! Du willst ihm seine kleine Schöpfung
nicht wegnehmen!“, wirft Claudia wütend ihrer Königin vor. Nun kneift diese
verärgert die Augen zusammen und legt ebenfalls schützend einen Arm auf Marys
bebenden Schultern.
„Sie gehört zur Familie!“, verteidigt sie die
Ziehtochter ihres Cousins.
„Und das reicht als Entschuldigung für alles?“,
fordert nun auch der Wachmann an Claudias Seite zu erfahren.
Genervt stöhnt Chasity auf und nimmt den Platz auf
ihrem Thron wieder ein, um allen Anwesenden zu demonstrieren, wer hier das
Sagen hat.
„Wie ihr alle wisst, liegt die Krone seit jeher in
meiner Familie und als Königin erwarte ich, dass die königliche Familie von
allen mit Respekt behandelt wird. Orlando und Mary gehören zu dieser Familie
und so werde ich es nicht länger dulden, wenn hier vor allen etwas Negatives
über sie gesagt wird. Haben wir uns verstanden, Claudia?“
Verärgert presst Claudia ihre Lippen fest
aufeinander. Es ist immer dasselbe Spiel.
„Verzeiht meine erneute Frage, verehrte Königin,
aber wie wollt Ihr uns erklären, dass Orlando sich nicht bei einer Versammlung
blicken lässt? Sollte ein Mitglied der königlichen Familie neben Rechten nicht
auch Pflichten haben? Ich frage mich, wo er schon wieder steckt.“ Wieder hat
der Wachmann das Wort ergriffen, womit er nur noch mehr Chasitys Ärger auf sich
zieht, doch Claudia nickt sofort zustimmend und sieht dies als Grund an, um
erneut das Wort zu ergreifen.
„Ganz recht, Victor. Es ist doch jedes Mal so. Alle
sind da, nur Orlando fehlt. Wo er dieses Mal nur steckt? Aber ich wette, seine
ach so geliebte Ziehtochter kann uns da weiterhelfen.“
Ihr Blick jagt zu Mary, die sofort verängstigt den
Kopf senkt. Weil nun auch alle anderen unruhig werden und eine Antwort fordern,
sieht sich Chasity nun zum ersten Mal gezwungen, sich direkt an Mary zu wenden.
„Mary, weißt du, wo er ist?“
Sofort schüttelt diese ihren zarten Kinderkopf, doch
damit gibt sich Claudia noch lange nicht zufrieden.
„Warum fragst du nicht Vivienne, ob sie auch die
Wahrheit spricht?“
Die dunkelhäutige Frau an Marys Seite erstarrt. Sie
besitzt eine einmalige Gabe. Sie ist als einzige der Wahrheitslesung mächtig,
was bedeutet, dass sie eine Lüge erkennt, auch ohne die Wahrheit zu kennen. Als
sie nun zögert und schwer schluckt, sieht Chasity empört zu Mary, die ihre
großen Augen flehend zu Vivienne gleiten lässt.
„Sie sagt die Wahrheit!“, presst sie nun leise aus
zusammengepressten Lippen hervor und neigt schuldbewusst ihren Kopf.
Chasity reicht dies als Antwort, auch wenn Claudia
sich empört und laut schnaubend abwendet. Alle haben Viviennes Zögern bemerkt
und wissen nicht, wie sie es deuten sollen. Mit einem Klatschen in die Hände
erklärt Chasity als Königin die Versammlung für beendet. Während Mary in ihr
Zimmer gebracht wird, tragen die übrigen Wachen die Leichen ihrer einstigen
Kameraden in den Innenhof von Moundrell Manor, wo sie die Sonne bei Anbruch des
Tages zu Asche verwandeln wird.
Als er sie in der letzten Nacht gesehen hatte, war
sie wieder dieselbe unbeschreibliche Frau, die er kennen gelernt hatte. Okay,
ihr Outfit war etwas verändert, aber das war auch schon alles. Sie hat ihn
weder auf ihre erste gemeinsame Nacht noch auf seine Aktion auf dem Baum
angesprochen. Eigentlich hat sie gar nicht mit ihm gesprochen, was ihn jedoch
nicht besonderes gestört hat. Manchmal sagen Taten einfach mehr als tausend
Worte. Bei dem Gedanken huscht ihm ein selbstzufriedenes Grinsen über das
Gesicht.
Nach wie vor weiß er nicht, was er von ihr halten
soll. Die Frau macht ihn süchtig. Und das, obwohl sie kein Mensch zu sein
scheint. Oder vielleicht gerade deshalb. Das Mädchen bringt seinen Kopf zum
schwirren und ihre grünen Augen haben sich ihm ins Hirn gebrannt. Es vergeht
keine Nacht, in der er nicht an sie denkt.
Ein Klopfen an seiner Tür lässt ihn aufhorchen. Das
kann nur Vivienne sein, jeder andere hier würde ohne Einladung einfach
hereinplatzen.
„Tritt ein“, fordert er sie auf und aus dem Schatten
der Tür löst
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