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Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern

Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern

Titel: Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Wittekindt
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natürlich bedauerlich, Ohayon. Wie lange ist das her?«
    »Fünfzehn Jahre.«
    »Und da kanntest du mal einen Schrotthändler, der keiner war und der auch nicht dick war.«
    »Ja. Wolfgang Pape hieß der.«
    »Na, wie schön.«
    Grenier legt auf.
    »Ich glaube, wir haben ihn. Der Typ mit dem Opel Kapitän hatte bei der letzten Altwagenshow tatsächlich Jugendliche dabei. Die haben da gegrillt, eine Party gefeiert und alle genervt.«
    »Jugendliche beim Oldtimertreffen? Das passt doch überhaupt nicht! Oder?«
    »Unser König ist kein eingetragener Schrotthändler, auch kein Oldtimerfreak, sondern jemand, der zusammen mit Jugendlichen alte Autos ausschlachtet und wieder aufbaut. Er heißt Wolfgang Pape. Zweiundfünfzig.«
    »Siehst du!«
    »Ein Deutscher. Lebt aber seit fünfundzwanzig Jahren in Frankreich. Eine Adresse konnte mir keiner geben.«
    »Pape! Klar. Ich weiß, wo der haust. Da hab ich vor Urzeiten mal Teile für mein russisches Motorrad gekauft. Hab ich dir doch gerade erzählt, oder?«
    »Ja, Ohayon, das hast du mir erzählt.«
    »Dass der das jetzt ist …«
    »Wo, Ohayon! Wo wohnt er?«
    »Wenn er noch da ist, wo er früher war, dann lebt er im Todesstreifen.«
    »Todesstreifen?«
    »Aus dem ersten Weltkrieg. Da wächst nix, nur Blaubeeren, Heide und Krater. Soll vergiftet sein. Der Boden, meine ich. Fragt sich nur, wie wir da hinkommen.«
    »Na, wenn er Oldtimer zusammenbaut, wird es wohl eine Straße …«
    Grenier unterbricht ihn.
    »Krater, erster Weltkrieg … Bei Madame Darlan lag doch auch lauter Gerümpel aus der Zeit rum.« Das Telefon klingelt. Grenier geht ran. »Der Medizinmann ist da.«
    Auf dem Weg ins Besprechungszimmer fragt Ohayon: »Was hat denn der Junge gesagt? Du warst doch im Krankenhaus.«
    »Noch nicht aufgewacht. Sie halten ihn in einem künstlichen Koma. Es werden ja einige im künstlichen Koma gehalten.«
    »Wieso guckst du mich dabei an?«

    Juliet sitzt noch immer am Tisch. Sie hat das Hähnchen und die Teller aufgehoben und auf den Tisch gestellt.
    Aber das war nicht alles.
    Bevor sie endlich begriff, was sie wollte, war es noch mal richtig losgegangen in ihrem Kopf. Alle Elemente ihres Schicksals traten miteinander in Beziehung. Zum Beispiel die Tatsache, dass sie nicht in Ruhe über die Frage nachdenken konnte, wie sie sich entscheiden sollte. Weil sie ihre Zeit damit verplemperte, mit einer Sechzehnjährigen über Frisuren zu debattieren! Es war ein Sturm. Nicht in der Art, dass sich alles beschleunigt, sondern, dass alles ineinandergeht. Monsieur Joiet und Sina, Schopenhauer und das Hähnchen durchdrangen sich. Schneesturm wäre übrigens ein besseres Bild, wenn man an die Schneeflocken denkt, an Wirbel, an Kollisionen.
    Und dann, auf einmal, war alles klar.
    Ihr Zorn auf Sina meint das Gegenteil! Ihre Wut ist nichts anderes als … Zuneigung. Sie versteht jede kleinste Regung von Sina, sie ist absolut auf ihrer Seite, sie würde sich langweilen, enttäuscht sein, wenn es diese Streitereien nicht gäbe.
    Und so hat Juliet in der großen Frage, die sie seit Tagen beschäftigte, endlich einen Entschluss gefasst. Es gibt Wichtigeres für sie, als Lesebücher zu konzipieren.
    Ein Detail allerdings sollte erwähnt werden. Während Juliet erkennt, dass sie Sina wie eine Tochter liebt, während sie begreift, dass ausgerechnet die enervierenden Gespräche mit einer Sechzehnjährigen den nun unbedingten Willen in ihr bekräftigt haben, sich in das richtige Leben zu stürzen und ein Kind zu bekommen, während all dieser Einsichten hält sie ihr Messer in der Hand und popelt damit Fleisch vomTorso des Hähnchens. Sie tut das mit ziemlich viel Energie. Genau genommen sticht sie auf das Hähnchen ein.

    »Die Todesursache war leicht zu ermitteln.« Der Gerichtsmediziner wartet, ob sich nach dieser Eröffnung etwas tut. Aber sie reagieren nicht. Conrey und Grenier und der Kommissar hören immerhin zu. Ohayon und Resnais sind auf der Suche nach dem Würfelzucker, den Conrey gestern mitgebracht hat. »Gestorben ist sie an einer Gehirnblutung in Folge eines schweren Schlags auf den Kopf. Der Schädel wurde dabei nicht zertrümmert. Allerdings wurde die Kopfhaut verletzt. Daher die Blutung.« Wieder eine Kunstpause, wieder stellt keiner eine Frage. Resnais hat den Zucker gefunden und tut zwei Würfel in seine und vier in Ohayons Tasse, woraufhin der kollegial nickt. »Jetzt zum dramatischen Teil des Vorgangs. Das Opfer könnte noch leben, wenn es früher gefunden und in eine Klinik

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