Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern
sein. Jedenfalls ist der Heizkörper am Fußende des Bettes angebracht. Und weil Roland Colbert unruhig schläft, drängelt er sich allmählich im Bett nach unten, was zur Folge hat, dass seine Füße irgendwann an der Heizung landen. Und da die Heizungauf vollen Touren läuft, werden seine Füße verdammt heiß, was wiederum zur Folge hat, dass er davon träumt, in einem brennenden Haus eingeklemmt zu sein.
Nicht alle schlafen, manche sind knallwach. Du musst es sehen, wie es ist! Er ist dabei abzustürzen. Die zwei Welten lassen sich nicht länger trennen. Oder ist es nicht vielmehr anders herum? Ist es nicht gerade sein Problem, dass sich die zwei Welten in ihm vollständig geteilt haben? Der vernünftige Teil weiß, dass er außer Kontrolle ist. Er hat Sachen gemacht, die kriminell sind. Wenn mich eben jemand gesehen hat, ist alles vorbei … Es geht hin und her in ihm. Ist das Schizophrenie? Leidet er unter einer gespaltenen Persönlichkeit? Etwas in ihm sagt ganz klar: Nein! Aber ist das nicht gerade der Charakter der Schizophrenie? Dass der eine Teil dem anderen widerspricht? Der vernünftige Teil in ihm ist offenbar der Meinung, dass er alles richtig gemacht hat. Der vernünftige Teil! Inzwischen bereitet ihm der vernünftige Teil mehr Sorgen als der verrückte. Er gibt Gas. Er muss jetzt erst mal hier wegkommen.
Als das Telefon um halb fünf klingelt, baut Roland Colbert dieses Geräusch als nahende Feuerwehr in seinen Traum ein. Sein Feuertraum ist übrigens eher vielfältig als angstmachend und hat eine Art Prolog. Denn bevor das Haus anfing zu brennen, hatte er einen Streit mit Juliet, der sich darum drehte, dass sie unbedingt einen Gasherd anschaffen wollte, er aber nicht. Ein Traum mit richtigen Dialogen. –
Ich will einen Gasherd, ich muss kochen! – Nein, Juliet, Gas ist gefährlich! – Gas ist nicht gefährlich, ich muss kochen! – Gas kann explodieren!
– Warum Juliet in seinem Traum auf einmal kochen musste, ist genauso unerklärlich wie die Tatsache, dass er mit einer Erektion aus seinem Verbrennungstraum aufwacht. Oder vielmehr geweckt wird.
Es ist Conrey. Und obwohl Roland Colbert noch mitgenommenist, versteht er sofort, dass nun alles wieder normal ist. Er wird nicht verbrennen.
Conrey ist sehr aufgeregt.
»Roland, du musst raus. Sofort! Das Haus von Walter Heimann brennt. Ohayon holt dich gleich ab.«
Er antwortet vernünftig. Legt auf. Braucht dann aber noch ein paar Momente. Erst, als er seine zweite Socke in der Hand hält, sie mit der ersten vergleicht und mit innerer Ruhe akzeptiert, dass sie gleich sind, erst da ordnet sich die Welt.
Das mit den Socken ist die letzte Gelegenheit, die ihm das Schicksal in die Hände spielt. Hätte er sich mehr Zeit genommen mit den Socken, dann wäre er vielleicht später auf die Idee gekommen, dass in allem, was nun folgt, eine ungeheure Verwechslung vorliegt. Oder eine Verdrehung, wenn man an die Socken denkt.
Als Roland Colbert und Ohayon das Haus von Walter Heimann erreichen, ist es fast schon zu spät.
Das Feuer breitet sich vom Eingang der linken Hälfte her aus. Aus der rechten Hälfte flüchtet gerade eine fünfunddreißigjährige Marokkanerin mit drei Kindern. Eins hält sie auf dem Arm, eins an der Hand. Einige Menschen stehen in sicherem Abstand und starren ins Feuer. Keiner hilft der Frau. Als das dritte Kind ins Haus zurück will, rennt Roland Colbert ihm nach, fängt es ein und bringt es seiner Mutter. Die Mutter redet auf das Kind ein, das etwas von einem Meerschweinchen sagt, das noch im Haus ist. Da das Kind nicht zu bändigen ist, ruft Roland Colbert Ohayon und befielt ihm, das Mädchen auf den Arm zu nehmen.
»Feuerwehr ist gleich da.«
»Warum so spät?«
»Die hatte jemand zugeparkt.«
Sagt Ohayon, während er versucht, das Mädchen zu beruhigen. Die Marokkanerin hat einen wichtigen Hinweis.
»Da ist noch der Mann im Haus. Da links.«
Die Tür brennt, die ganze Seite, wo die Tür war, brennt. Das Feuer strahlt eine ungeheure Hitze ab. Roland Colbert versucht, gleichmäßig zu atmen, und das Feuer frisst sich schnell von links nach rechts durch das Gebäude. Der Kommissar zieht seine Waffe. Während er auf das Fenster zugeht, entsichert er sie.
»Weg vom Fenster!« Nach zwei Sekunden wiederholt er die Warnung. »Herr Heimann! Gehen Sie weg vom Fenster, ich schieße!«
Er wartet noch einen Moment, dann schießt er in den oberen Teil der Scheibe. Er zieht seinen Mantel aus, umwickelt seinen Arm.
Im Zimmer ist
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