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Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern

Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern

Titel: Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Wittekindt
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eine graue Suppe gesehen. Und als sie das Bild fertig hatte, da war ich geschockt. Hier auf dem Bild ist ja alles irgendwie grünlich, blau und lila. Da war gar nichts lila, da am Feld. Aber als ich das Bild sah, da war es genau das, was wir gesehen hatten. Nicht wie ein Foto, aber die Stimmung, das war genau das.«
    Ohayon sagt nichts. Er war nicht dabei. Aber er sieht schon seit einiger Zeit ein Feld. Er bildet sich sogar ein, in irgendwelchen Flecken Gewächse und Bodenformationen zu sehen. Kristina holt ihm eine Tasse, und sie trinken zusammen Tee. Dann redet sie weiter. Ohayon ist sich nicht sicher, ob sie überhaupt noch mit ihm spricht. Sie redet jetzt schneller, stellt Fragen, die sie dann gleich selbst beantwortet. Und so erfährt Ohayon eine Menge über Geneviève und Kristina.Er begreift überhaupt zum ersten Mal, wie eine Sechzehnjährige denkt. Nach einer Weile vergisst er, warum er da ist, und noch etwas später vergisst er sogar, dass Kristina ein hübsches Mädchen ist. Er denkt auch nicht darüber nach, dass er klein und dick ist und dass es wahrscheinlich lächerlich aussieht, wie er da auf dem Flokati kniet. Normalerweise hat er das bei weiblichen Wesen immer in seinem Denken mit drin. Dass er ein Mann ist. Und immer erinnert ihn das dann gleich daran, dass er hässlich ist, was ihn dann unweigerlich befangen macht. Viele Frauen behaupten, dass man sich überhaupt nicht mit ihm unterhalten kann. Hier auf dem Flokati ist das anders.
    Irgendwann hört Kristina auf zu reden und stellt Fragen. Und Ohayon beantwortet sie, ohne dabei an etwas anderes zu denken. Offenbar hat auch Kristina vergessen, dass er ein kleiner, fetter Bulle ist. Sie unterhalten sich einfach. Und auch noch über so wichtige Thema wie Tod, Schmerz und Verlust.
    Als Ohayon schließlich geht, kommt ihm der Schnee weniger fremd vor. Er hat noch den Flokati vor Augen, die Kerzen und irgendwie auch Kristinas Stimme. Und so stellt er sich zum ersten Mal in seinem Leben vor, mal ein Kind zu haben. Bis er zu Hause ist, kommt ihm das ganz normal vor. Erst als er seine Wohnung betritt, den Geruch wahrnimmt und sieht, wie er lebt, begreift er, dass vor der angedachten Vaterschaft noch eine Menge Probleme zu überwinden sind. Aber er verfällt nicht in seine übliche Stimmung. Er schenkt sich auch keinen Cognac ein. Stattdessen wühlt er in seinem Hängeschrank, bis er einen Teebeutel findet, gießt sich einen Tee auf, zündet eine Kerze an und setzt sich in seinen Stuhl. Er denkt nicht mehr an Kristina, er denkt viel weiter. Und ganz allmählich wird ihm klar, dass er das Leben und vor allem die Frauen bis jetzt irgendwie aus einem falschen Blickwinkel gesehen hat, dass wahrscheinlich alles viel normaler ist, als er bisher glaubte. Die Erkenntnis, dass es vielleicht gar nicht an seiner Größe und an seinem Bauch liegt, macht ihm Hoffnung.Und so denkt er zuletzt noch eine Weile an Frau Behling aus der Asservatenkammer. Und diesmal wird ihm nicht schlecht.

    Roland Colbert liegt bereits im Bett, als ihm Juliet und Sina … Vergessen, schon halb eins … Er überlegt. Er will unbedingt mit Juliet reden. Er vermisst sie, will ihre Stimme hören und ihr sagen, dass er sie liebt. Aber er weiß auch, dass sie früh raus muss. Also ruft er nicht an.
    Hätte, hätte, Fahrradkette.
    Hätte er Juliet angerufen, wäre er wahrscheinlich eingeweiht worden, er hätte dann erfahren, warum Juliet heute Abend das Wohnzimmer umgeräumt hat und gerade unbeschreiblich entspannt und voller Pläne neben dem Telefon sitzt. Ja, wenn er doch angerufen hätte! Sie wäre sofort am Apparat gewesen. Und es wäre dann alles anders gekommen. Der Fall wäre vielleicht so aufgeklärt worden, wie es sich gehört! Ja! Aber vier Wochen später hätte möglicherweise in der Zeitung gestanden, dass schon wieder ein Mädchen ermordet wurde. Es wäre dann alles richtig gelaufen und auf ganz grausame und ungerechte Weise falsch. Dafür wären er und Juliet sich vielleicht einig geworden über die Vergrößerung ihrer Familie. Es gibt solche Momente, in denen sich das Richtige und das Falsche so gründlich verheddern, dass man schon an so was wie einen höheren Willen glauben möchte.
    Es dauert ziemlich lange, bis Roland Colbert endlich einschläft. Und dann passiert noch was. Etwas, das perfekt passt zu einem Abend, an dem offensichtlich höhere Mächte ihre Hand im Spiel haben.
    Aus irgendeinem Grund sind die in der Pension auf die Idee gekommen, ihren Gästen könnte fußkalt

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