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Schneespuren gibt es nicht (German Edition)

Schneespuren gibt es nicht (German Edition)

Titel: Schneespuren gibt es nicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W.T. Wallenda
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dem Tresen war der Inbegriff des Bösen. Sie war der Grund dafür, dass Kinder Angst vor Ärzten hatten. „Komm, wir gehen zum lieben Onkel Doktor.“ „Nein, dort sitzt der böse Drache!“ So oder ähnlich konnte sich Berti den ewigen Kampf der Mütter vorstellen, die ihre Balgen mit Mumps, Masern, Kopfläusen oder Magen-Darm-Erkrankungen in diese Praxis schleiften. „Hier, bitteschön.“ Berti schob seine AOK-Karte über den Tresen. „Herr Schmadtke, Sie können im Wartezimmer Platz nehmen. Wir rufen Sie dann auf“, kam in der gleichen, stoischen Stimmlage, wie zuvor. Der Roboter-Stil war der Schrulle scheinbar angeboren. Manchmal bezweifelte Berti sogar, dass die Frau lebte. Sie war irgendwie mechanisch. „Ich bin Nr. 5 … ich möchte Arzthelferin werden … bitte ölen Sie meine Stimmbänder … abends muss ich meinen Akku aufladen …“ Berti ging ins Wartezimmer. Ein junges Paar tuschelte im Eck. Rechts daneben saßen zwei ältere Damen. Sie gehörten offenbar zu den täglichen Stammkunden des Allgemeinarztes. Gegenüber, auf der Bank, hockte eine Mutter. Ihr Säugling hustete, der etwa dreijährige Bruder stöberte in einer virenverseuchten Spielkiste herum. Seine Nase lief unentwegt, was mit permanentem Schniefen behoben wurde. War die Rotzfahne mal etwas länger, half der Ärmel. „Yannik-Konstantin, bitte!“, war alles, was die überforderte Mama dazu sagte. Neben der Kleinfamilie hatte sich eine übergewichtige Mitfünfzigerin gesetzt. Sie war der lebende Inbegriff des Doppel-Whopper und musste auf der Bank sitzen. Aus einem Armsessel wäre sie sicherlich nicht mehr hochgekommen. Der Anblick der Frau löste in Berti eine ungemeine Daseinsfreude aus. Er fühlte sich augenblicklich schlank. Zwei Männer, die zu der Garde gehörten, sich per gelben Zettel einen Sondertag Urlaub zu ergattern, rundeten das Patientenprogramm der ersten Stunde ab. Berti setzte sich neben das Pärchen. „Ein netter Kleiner“, fing die Dicke ein Gespräch an. Als sie sich dem Kleinkind zuwandte, wackelten ihre Wangen, als wäre es Wackelpudding. „Was suchst du denn?“ Yannik-Konstantin erschrak. Er betrachtete den Fleischberg, begann zu weinen, rannte zu seiner Mutter und vergrub den Kopf in Mamas Pullover. Diese lächelte etwas zurückhaltend. „Er ist gerade in der Fremdel-Phase.“ Quatsch! Er hat Todesangst davor, dass der Fleischberg ihn fressen könnte. „Ich liebe kleine Kinder! Am liebsten habe ich sie süß-sauer, oder frisch aus dem Backofen!“ Das Pärchen neben Berti tuschelte ständig etwas von Kindern, beide starrten aber leicht schockiert auf den Dreijährigen, der sich wieder von seiner Mutter löste. Zurück blieb ein unübersehbarer Streifen Nasenschleim, den Mama mit einem Papiertaschentuch abzuwischen versuchte. Von einem der beiden Männer ging eine unverkennbare Alkoholfahne aus. Er erhielt von Berti den Beinamen der Fähnrich . Der andere Typ schien geistesabwesend zu sein. Berti taufte ihn in Gedanken Koks-Kopf . Die beiden Alten quatschten die ganze Zeit über ihre ewigen Krankheiten, und dass der alte Dr. Kleefuß besser war als der Sohn.
    Nach gefühlten dreißig Minuten, tatsächlich waren nur fünf Minuten vergangen, plärrte Roboter Nr. 5 in das Wartezimmer.
„Frau Schmitz, wir brauchen eine Urinprobe! Becher gibt es hier, die Toilette ist dort. Die Probe im Fensterchen der Toilette abstellen.“ Das war unverkennbar militärischer Kasernenton. „Antreten, oder es gibt was auf die Mütze!“ Die Alte war doch vor dem Job hier, Aufseherin im Frauenknast, dachte sich Berti. Die junge Frau errötete. Sie stand auf und ging zum Tresen. Mit einem leeren Urinbecher in der Hand verschwand sie in der Toilette. „Herr Niederreiner, von Ihnen brauchen wir auch eine Urinprobe, und wenn wir schon einmal dabei sind, Frau von Emmering, Sie müssten uns auch noch einen Becher voll machen!“ Berti ekelte sich. Der Fähnrich stand auf. Die dicke Frau war der Reaktion nach Frau von Emmering. Ächzend erhob auch sie sich, um schwerfällig Schritt für Schritt zum Tresen zurück zu legen. Vor der Toilette warteten beide. Die junge Frau kam heraus. „Entschuldigung“, hauchte sie aus, als sie sich an dem Alki und der Tortenfestung vorbeischleuste. Verdruckst nahm sie wieder neben ihrem Lover Platz. Das Tuscheln begann von vorn. Hin und wieder betrachteten beide Berti. Streiften sich die Augenpaare von ihm und seinen Sitznachbarn, sahen diese schnell weg. Sie sprachen über ihn. Das war

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