Schneespuren gibt es nicht (German Edition)
„Wir müssen herumfahren!“ „Dann tu was!“ Berti stellte ein Bein in den Schnee. Der Schlitten bewegte sich ganz leicht nach links. „So geht es!“, feuerte Konny seinen Freund an. Das zweite Bein wurde in den Schnee geschoben. Sie visierten wieder genau die einsam stehende große Tanne an. „Andersrum!“ „Ich kann mich nicht umdrehen!“ „Nein, das mit den Beinen!“ Berti stellte beide Beine wieder auf die Kufen! Die Tanne wurde immer größer. „Ahhhh!“, kam es wie aus einem Mund. Das Unvermeidliche passierte. Sie krachten gegen den Baum. Beide kullerten in den Neuschnee. Durch den Aufprall des Horners krachten die in den Ästen abgelagerten Schneemassen herunter. Das Holz des Schlittens zerbarst. Keuchend und schneebedeckt saßen sie unter der Tanne. „Ich bin tot!“ „Nein, ich bin tot!“ „Sind wir im Himmel?“ „Wir sind in der weißen Hölle. Gerade eben war es noch ein wunderschöner Morgen! Und jetzt beginnen die Katastrophen von vorn!“ „Ich kann nicht mehr“, stöhnte Berti. „Der Bauer wird uns verklagen, die Polizei wegen Brandstiftung einsperren.“ „Beruhige dich.“ Konny stand auf und klopfte sich den Schnee ab. Er ging zu Berti, reichte ihm die Hand und half beim Aufstehen. „Das war die geilste Schlittenfahrt, die ich jemals erlebt habe!“ „Auf eine Wiederholung kann ich verzichten.“ „Komm!“ „Wohin sollen wir in dieser gottverlassenen Gegend gehen?“ „Geradeaus!“ Berti nahm den Trolley und folgte den Spuren seines Verlobten. Alles war Automatismus. Er konnte und wollte nicht mehr denken. Es war vorbei. Sie würden ohnehin sterben. Es war vollkommen egal, in welche Richtung sie marschierten. Ein Blick nach oben bestätigte seine Vorahnung. Der Himmel zog wieder zu. Erste Schneeflocken rieselten herab. Über, vor, unter und hinter ihnen war es weiß. Die weiße Hölle. Einzig die schwarzen Enden der Leitpfosten, die aus dem Schnee ragten, gaben Hoffnung. „Hier muss eine Straße sein. Wir müssen nur den Leitpfosten folgen.“ „Links oder rechts herum?“ „Wie würdest du langgehen?“ „Rechts!“ „Gut, dann gehen wir nach links!“ „Wieso denn? Wenn du nach links gehen willst, wieso fragst du mich dann?“ „Ganz einfach, wenn du zur Zeit ein schlechtes Karma hast, müssen wir nur das Gegenteil tun, dann klappt alles.“ Berti war anfangs beleidigt, doch nach und nach leuchtete ihm Konnys Theorie ein. Es schneite wieder heftiger. „Unser nächster Urlaub wird am Meer verbracht!“ „Strand und Sonne! Ausgemacht!“ „Ich hasse ab jetzt den Winter!“ „Ich auch!“
Der Schnee war knietief. Sie kämpften sich über zwei Stunden durch die Winterlandschaft, waren am Ende ihrer Kräfte und kurz vorm Kollabieren, als sie die Erlösung sahen. Mitten im Schneegestöber tauchten die Umrisse des Luxushotels auf. „Wir sind gerettet!“ „Du hattest recht mit dem Karma“, keuchte Berti. „Zufall!“ „Egal! Wir sind am Ziel! Die letzten Energiereserven wurden mobilisiert. Ein unbeschreibliches Siegergefühl machte sich breit. Das Unglaubliche war passiert. Sie hatten die Wildnis zum Duell herausgefordert und besiegt. Der Gang in das Hotelfoyer war wie ein Gang auf das Siegertreppchen. „Konny, ab jetzt haben wir endlich Urlaub!“ Das Glück konnte beginnen.
Wiedersehen macht Freude
Der Portier traute seinen Augen nicht, als Konny und Berti vor ihm standen. Die beiden Gäste wurden bereits gestern erwartet. Über Nacht tobte der Schneesturm. Die Straße zum Hotel war mittlerweile unpassierbar. Wie zum Teufel kamen sie hierher, fragte er sich im Stillen. Und was war ihnen widerfahren? Sie sahen schrecklich aus. Alles andere als hoteltauglich. Er würde ihre Personalien prüfen müssen. Andererseits konnte man diese Individuen nicht aussetzen. Wenn man den Wetterpropheten glauben konnte, war das erst der Anfang des massiven Wintereinbruchs. Ein Sturmtief nach dem anderen war im Anflug. Erhebliche Schneemassen wurden erwartet. Die Hotelführung hatte sich für den Notfall gut vorbereitet. Das war nichts Neues für den Empfangschef, Herrn Sandemann. So etwas kam jeden Winter zwei bis dreimal vor. Sandemann und alle anderen Angestellten blieben diese Tage im Hotel. Ihnen standen eigene Zimmer zur Verfügung. Seine Traudl mochte das zwar gar nicht, aber es führte kein Weg daran vorbei. „Bevor du unter Lebensgefahr runter in den Ort kommst, bleibst du lieber oben auf dem Berg“ , hatte sie ihm gesagt. Sie war schon ein Prachtweib, dachte
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