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Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)

Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)

Titel: Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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schlimm, hin und wieder so zu empfinden, auch als Vater nicht«, erklärte Silvie in dem Versuch, eine Sorge zu zerstreuen, die er ausnahmsweise gar nicht hatte. »Man ist nicht verpflichtet, alles gut und unproblematisch zu finden, bloß weil man sich das mit dem Elternwerden selbst ausgesucht hat und die Werbung einem vorgaukelt, dass in einem familiengemanagten Haushalt immer nur eitel Sonnenschein herrscht.«
    »Das ist es nicht«, versicherte er ihr noch einmal. »Ehrlich.«
    »Okay. Du willst nicht drüber sprechen.« Sie griff nach dem Buch, das neben ihm auf dem Sofa lag.
»Männerbünde und Geheime Gesellschaften«,
las sie vom Titel ab. »Hat das mit dem Fall zu tun, an dem du arbeitest?«
    Verhoeven blickte überrascht auf. »Wie kommst du darauf?«
    »Keine Ahnung.« Sie legte das Buch beiseite und strubbelte sich durch die aschblonden Haare, die von der trockenen Heizungsluft ein wenig störrisch waren. »Es war nur so ein Gefühl.«
    »Ich war vorhin noch kurz bei Anna«, erklärte er, und seine Stimme kam ihm selbst fremd vor.
    »Bei deiner Pflegemutter?« Seine Frau war überrascht, das war offensichtlich. Vielleicht war sie auch wütend. Weil er sich Zeit nahm für eine Frau, die ihn nie geliebt oder auch nur geschützt hatte, aber den Arzttermin seines Sohnes vergaß. »Wie geht’s ihr denn?«
    »Ganz gut. Ich glaube, sie hat sich gefreut, dass ich bei ihr vorbeigeschaut habe.«
    »Und was bereitet dir dann solche Probleme?«
    »Es ist nicht Anna als solche. Es ist … es ist mehr die Bilanz, verstehst du?«
    Verhoeven wandte resigniert den Kopf ab, als er die Ratlosigkeit in ihrem Blick sah. Er konnte einfach nicht in Worte fassen, was in ihm vorging. Trotzdem schien es ihm von geradezu immenser Wichtigkeit zu sein. Er starrte auf die Kante des Couchtischs hinunter und dachte an seinen alten Deutschlehrer, der immer behauptet hatte, dass das, was man nicht formulieren könne, auch nicht der Rede wert sei. Aber diese banale Weisheit traf in seinem Fall nicht zu. Oder? Was war mit dem bedrängenden Gefühl, dass alles im Umbruch war? Dass alles, selbst die Dinge, derer er sich bis dato vollkommen sicher gewesen war, einen neuen Stellenwert bekam. Einen neuen Platz.
    Es ist nicht Anna …
    Aber was war es stattdessen? Was machte ihm so zu schaffen? Woher kam diese elementare Verunsicherung? Verhoeven rieb sich die Stirn, während sich sein Verstand bereitwillig auf die nächstbeste Ablenkung stürzte.
    »Damals, als Schmitz seinen Schlaganfall hatte, ist Anna zu mir gekommen«, hörte er sich sagen. »Ausgerechnet zu mir.« Er schüttelte den Kopf, während seine Frau einfach nur zuhörte. »Anna war immer sehr patent, weißt du. Organisiert, meine ich. Das musste sie auch bei einem Mann wie Schmitz. Aber in dieser Situation wusste sie nicht weiter. Also rief sie mich an und bat mich, dass ich einen Heimplatz für ihn aussuche.«
    »Ja und?«, fragte Silvie. »Genau das hast du doch auch getan, oder nicht?«
    »Ja.« Verhoeven nickte spöttisch. »Das habe ich getan.«
    Er schloss die Augen und sah für einen flüchtigen Moment wieder den stickigen kleinen Raum vor sich, in dem sein Pflegevater die letzten Jahre seines Lebens verbracht hatte. Die billige Polyesterdecke über dem fetten, ungewaschenen Körper. Und die Löcher in den Deckenplatten, die Schmitz gezählt hatte, weil er sonst nichts mehr hatte tun können. Unablässig. Tag und Nacht. Er habe oft nicht schlafen können, hatten die Schwestern erzählt. Trotz der Beruhigungsmittel, die sie ihm gegeben hatten.
    »Tut er dir leid?«, riss die Stimme seiner Frau ihn aus seinen Erinnerungen.
    »Wer?«, fragte Verhoeven irritiert.
    »Schmitz.«
    »Nein«, antwortete er, ohne lange nachzudenken. Und ohne sicher zu sein. So absurd der Gedanke an Mitleid in diesem Zusammenhang auch war.
    »Und Anna?«
    »Ach was. Sie hat es gut getroffen. Viel besser als er.«
    »Aber von den anderen besucht sie keiner, oder?«, fragte Silvie und meinte Verhoevens Pflegegeschwister.
    »Soweit ich weiß, nicht.«
    Silvie nickte nur.
    Verhoeven sah wieder die Tischkante an und dachte daran, dass er Winnie Heller von Schmitz erzählt hatte. Nicht viel, natürlich. Nur dass es ihn gegeben hatte. Aber seine Partnerin hatte gute Instinkte. Sie würde ihre Schlüsse ziehen. Und er war nicht einmal mehr sicher, ob ihn das störte. Stattdessen stellte er sich lauter dumme Fragen: Hätte ich mehr tun können? Hätte ich mehr tun
müssen?
Habe ich etwas versäumt? Ging es

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