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Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)

Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)

Titel: Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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Schmitz’ Haus war kein einziger Tag vergangen, an dem er hätte sicher sein können. Aus jedem noch so nichtigen Anlass hatte der cholerische Schmitz ausrasten können. Von jetzt auf gleich. Aus buchstäblich heiterem Himmel. Verhoeven seufzte. Genau diese Unsicherheit hatte er seinen eigenen Kindern um jeden Preis ersparen wollen. Er hatte sich gewünscht, dass sie eine behütete Kindheit haben würden, eine möglichst lange Zeit der Unbeschwertheit, die zu dem Reservoir hatte werden sollen, aus dem Nina und Jan später, in den unvermeidlichen Stürmen des Lebens, Kraft schöpfen konnten.
    Sein Blick fiel auf den Nachttisch, auf dem eine Lampe in Form eines Aquariums leuchtete. Bunte Fische tanzten darin und zauberten ein Muster aus Gelb- und Grüntönen an die Decke über ihnen. Er selbst war acht gewesen, als seine Mutter gestorben war. Aber so bitter sich die Zeit nach ihrem Tod auch gestaltet hatte – diese acht behüteten Jahre hatte ihm niemand mehr nehmen können. Sie hatten ihn durch die dunkelsten Nächte in Schmitzens Haus getragen. Durch seine Ausbildung und durch jede einzelne Krise, die er seither gehabt hatte. Acht Jahre, in denen er von der Illusion der Sicherheit umgeben gewesen war. Und genau diese Illusion hatte Damian Kender seinem Kind, seiner Tochter genommen.
    Verhoeven fühlte, wie der Stein in seinem Magen zu Eis gefror und sich eine alles durchdringende Kälte in ihm ausbreitete. Nina hatte die besten Voraussetzungen gehabt. Ihre Mutter war gesund. Er selbst war gesund. Sie hatten ein gutes Auskommen. Ein Haus. Einen Garten. Zwei Autos. Es hatte alles gestimmt, und doch war das Böse in das Leben seiner Tochter eingedrungen und hatte der Illusion, die er ihr hatte schenken wollen, ein Ende bereitet. Viel zu früh. Und viel zu plötzlich, zu unvorbereitet. Roh. Er hatte es nicht verhindern können, obwohl er sein Bestes getan hatte. Nie zuvor war ihm das so klar gewesen wie in dieser Sekunde, und er fühlte, wie aus der Kälte in seinem Inneren heraus eine unbändige Wut von ihm Besitz ergriff. Ein rohes, elementares Gefühl ohne Steuerknopf. Ohne Regler.
    Wenn Damian Kender jetzt, in diesem Augenblick, vor mit stünde, dachte er erschreckend klar und ruhig, ich würde ihn ohne Zögern umbringen.
    »Papa?«
    »Ja?«, fragte er erschrocken.
    »Was ist?«
    Verhoeven drehte den Kopf und sah seine Tochter an. Aber er konnte nichts sagen, keine Antwort geben auf ihre Frage, keine Reaktion zeigen. Er konnte nichts anderes tun, als aufzustehen, aus dem Zimmer zu gehen und sie in ihrer grünen Urwald-Bettwäsche zurückzulassen. Mit ihrem Albtraum. Mit ihren Ängsten und Fragen. Und mit der Erinnerung an das Monster, das sich in ihr Leben geschlichen hatte.
    Wie in Trance ging der die Treppe hinunter.
    Sein Fuß schlurfte über die Kanten der Stufen, als ob er ein steinalter Mann wäre. Doch er hielt die Balance. Vorerst.
    Du hast versagt,
brannte es hinter seiner Stirn.
So einfach lässt sich das auf den Punkt bringen.
    DU HAST VERSAGT …
    »Hendrik!«, hörte er die Stimme seiner Frau.
    Doch auch jetzt konnte er nicht reagieren.
    Er schaffte es gerade noch rechtzeitig in die Toilette, um sich zu übergeben.

Vier

August 1953
    Exakt zwei Stunden nach dem abrupten Ende der Grillparty ist die Auffahrt der Beltings so finster, dass Rebecca Nolde sie kaum wiedererkennt. Es behagt ihr ganz und gar nicht, was sie hier tut. Aber sie möchte ihren Schwarm auf keinen Fall enttäuschen. Vielleicht will er sich bei ihr entschuldigen. Für den Auftritt, den seine Mutter vor ihr und den anderen Gästen hingelegt hat. Oder aber er hat vor, sich doch noch zu verabschieden. So richtig verabschieden.
    Die Vorstellung, dass Mario sie vielleicht sogar küsst, lässt ihr Herz augenblicklich schneller schlagen. Und wenn er mich fragt, ob ich mit ihm gehe, dann sage ich ja, beschließt sie mit einem angenehm warmen Gefühl ums Herz. Doch kaum dass sich der Gedanke in ihrem Kopf manifestiert hat, melden sich auch schon wieder Bedenken. Typisch für sie – das hat sie von ihrem Vater geerbt. Dem Skeptiker der Familie.
    Die Geschichte hat uns gelehrt, dass der Mensch zu allem fähig ist,
zitiert ihre Mutter ihn oft, woran Rebecca selbst sich kaum noch erinnern kann.
    Und auch Annette, die aus unerfindlichen Gründen einfach keine Ruhe geben will, mischt sich schon wieder ein:
Was findest du bloß an einem wie dem?,
murrt sie.
Okay, er sieht gut aus, aber er hat doch noch nicht mal die Courage, seiner besoffenen Mutter

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