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Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)

Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)

Titel: Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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drehen, bis das Licht ihr erlaubt, die Zeiger zu lesen. Er müsste längst da sein.
    Geh!,
fleht Annette.
    Soll ich wirklich? Was, wenn er enttäuscht ist? Was, wenn er mich braucht? Oder mir übel nimmt, dass ich …
    Da! Schritte! Eilig. Endlich!
    Sie dreht sich um. Lächelt ihm entgegen. »Hallo!«
    »Hallo.«
    Verlegen. »Da bin ich.«
    Er lächelt auch. »Das ist gut«, sagt er leise.
    Dann schaut er an ihr vorbei. Genau wie vorhin.
    Erst jetzt bemerkt sie die beiden Stühle, die dort stehen. Direkt am Beckenrand. Und sein Lächeln, das anders ist als vor ein paar Stunden. Fremd. Kühl.
    »Was hast du vor?«, fragt sie, und ihre Stimme hat jede Farbe verloren.
    »Ich will dir zusehen.«
    »Du willst mir zusehen?« Ihr Atem geht schneller. »Wobei?«
    Mario Belting zuckt die Achseln. Gleichgültig. Und mit einer Selbstverständlichkeit, die ihr das Blut in den Adern gefrieren lässt. »Beim Sterben.«

Mittwoch, 17 . Dezember
    1
    »Du solltest heute nicht zur Arbeit gehen.«
    »Was?«
    »Du bist nicht in Ordnung.«
    Eine ebenso simple wie bezeichnende Feststellung. Nicht: Du bist krank. Sondern: Du bist nicht in Ordnung.
    Stimmt, dachte Verhoeven. Sie hat keine Ahnung, wie recht sie hat. Laut sagte er: »Leider habe ich keine Wahl.«
    Seine Frau stutzte. »Was soll das denn heißen?«
    »Das heißt, dass ich keine Wahl habe«, gab er in gereiztem Ton zurück. »Wir haben einen Fall.«
    »Ihr habt immer einen Fall.«
    »Dieser hier ist besonders.«
    Falls sie sich über ihn ärgerte, gelang es ihr, sich ihren Unmut nicht anmerken zu lassen. »Das sagst du über jeden deiner Fälle.«
    »Mag sein. Aber dieses Mal stimmt es.«
    »Hat es …« Silvie unterbrach sich, und in ihre sonst so entschlossenen Züge schlich sich ein Hauch von Besorgnis. »Hat es mit … ihm zu tun?«
    Sie hatte das Wort »ihm« ausgesprochen, als bestünde es aus lauter Großbuchstaben. Ein wunderbares Bild für die Bedeutung, die der vielfache Serienvergewaltiger seit vergangenem August in ihrer aller Leben einnahm. Dabei kannte Silvie noch nicht einmal die ganze Geschichte. Immerhin war sie streckenweise betäubt gewesen. Außer Gefecht gesetzt.
    Nicht der schlechteste Zustand, dachte Verhoeven mit einem Anflug von Neid.
    »Du meinst mit Kender?«, fragte er. Im Gegensatz zu seiner Tochter kannte seine Frau Damian Kenders vollen Namen, und er wollte ihn ihr auch nicht ersparen.
    Obwohl sie ihn durchschaut hatte, nickte sie einfach. »Hat es nun mit Kender zu tun?«
    »Nein, hat es nicht.«
    »Sicher?«
    Verhoeven bejahte. »Es geht um etwas anderes. Das habe ich dir doch gesagt.«
    »Mit jemandem, den du zu kennen glaubtest«, wiederholte sie lakonisch.
    Er nickte.
    »Und habt ihr … Gibt es irgendwas Neues zu Kender?«
    »Noch nicht.«
    »Aber es sind jetzt schon …«
    »Ich weiß«, unterbrach er sie. Er wusste, verdammt noch mal, viel zu gut, wie lange es her war. Er konnte es jeden Tag aufs Neue an seinem Sohn ablesen. Damian Kender war im selben Augenblick aus seinem Haus, aus der Stadt und aus seinem Leben verschwunden, in dem sein Sohn das Licht der Welt erblickt hatte. Etwas, das er nie wieder vergessen würde. Sosehr er sich auch darum bemühte.
    »Glaubst du, dass er noch hier ist?«
    »Wo?«
    »Hier in Deutschland.«
    Verhoeven wandte den Blick ab. »Das glaube ich kaum.«
    Kender war Reptilienspezialist gewesen. In der Wohnung des Serienvergewaltigers, dem er im Tausch gegen das Leben seiner Frau und seines Sohnes die Freiheit geschenkt hatte, hatten sie Bildbände über Nordafrika gefunden. Kenders Kollegen hatten erzählt, dass er regelmäßig nach Marokko geflogen sei. In die Wüste, die ihn so faszinierte. Gut möglich, dass er trotz internationalem Haftbefehl bis dorthin gekommen war. Kender hatte einen amerikanischen Pass gehabt, wie sie nach seinem Untertauchen herausgefunden hatten, sein Vater war Amerikaner. Damian Stephen Billigton, geboren am 27 . Mai 1974 in Eltville am Rhein. Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika.
    »Vielleicht ist er auch tot«, schlug Silvie mit einer Mischung aus Hoffnung und Trotz vor.
    »Ja«, sagte er. »Vielleicht.«
    »Du glaubst nicht daran, oder?«
    »Ich weiß nicht, was ich glaube«, antwortete er, und in Gedanken fügte er hinzu: Und eigentlich spielt es auch gar keine Rolle.
    Vielleicht ist Damian Kender tot. Vielleicht kommt er tatsächlich nie wieder zurück. Aber wo immer er auch sein mag, er ist am falschen Platz. Einer wie er gehört in ein Gefängnis. Auf immer und ewig

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