Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
Gegenstände, Kleidungsstücke oder etwas in dieser Richtung?«
»Aber selbstverständlich«, antwortete die alte Dame beinahe empört. »Sein Zimmer ist noch genau so, wie es war, als er mich zum letzten Mal besucht hat. Sie können es sich gerne ansehen. Allerdings glaube ich nicht, dass Sie das weiterbringen wird.«
»Warum nicht?«
»Na, wenn da irgendwas Aufschlussreiches dabei gewesen wäre, dann hätten Ihre Kollegen das damals doch ganz sicher …«
»Kollegen?«, fiel Winnie ihr ins Wort. »Soll das heißen, es waren Polizisten hier?«
Dorothea Zieser nickte. »Oh ja, vielleicht drei, vier Wochen nachdem mich Bernd zum letzten Mal besucht hatte. Sie haben mich gefragt, ob mir bekannt sei, dass er als Informant fürs BKA arbeite, und ich sagte ja. Und dann haben sie mich gefragt, ob ich wüsste, wo er steckt.«
Winnie glaubte, ihren Ohren nicht zu trauen. »Zivilbeamte oder Polizisten in Uniform?«, fragte sie atemlos.
»Leute wie Sie.«
»Also Kriminalbeamte.«
»Ja, genau«, flüsterte Dorothea Zieser, deren ausdrucksvolles Gesicht jede Farbe verloren hatte. Offenbar verstand sie sehr genau, was Winnies Reaktion zu bedeuten hatte. »Es waren zwei. Beide sehr nett. Sie erzählten mir, dass Bernd untergetaucht sei und dass sie ihn unbedingt finden müssten. Und als ich ihnen nichts über seinen Aufenthaltsort sagen konnte, fragten sie, ob es mir recht sei, wenn sie sich sein Zimmer ansehen.«
»Hatten sie einen Durchsuchungsbefehl?«
»Sie haben mir irgendein Papier gezeigt«, entgegnete Dorothea Zieser. »Aber ich bin ganz ehrlich: Ich habe gar nicht genau hingesehen. Ich …« Sie hob entschuldigend die Hände. »Ich verstehe nichts von solchen Dingen und könnte sowieso nicht beurteilen, ob ein Dokument, das mir vorgelegt wird, echt ist oder nicht. Außerdem erschien mir … ihr Besuch erschien mir irgendwie plausibel, verstehen Sie?«
Winnie nickte. Was für ein perfides Spiel!
Sie haben mir irgendein Papier gezeigt …
»Die Männer hatten übrigens Ausweise dabei«, fuhr Dorothea Zieser fort, und ihre Stimme verriet ihre Verunsicherung. »Und die sahen ziemlich echt aus. Außerdem trugen sie Schusswaffen unter ihren Jacken.«
»Aber Sie hatten keine Vermisstenanzeige erstattet?«, hakte Winnie vorsichtshalber noch einmal nach.
»Nein«, rief Dorothea Zieser empört. »Natürlich nicht. Bernd hätte nie wieder ein Wort mit mir gesprochen, wenn ich das gemacht hätte.«
Ja, dachte Winnie, vermutlich nicht …
»Wissen Sie noch, ob die Kollegen damals etwas mitgenommen haben?«
»Ich glaube nicht. Sie haben sich, wie gesagt, Bernds Zimmer angesehen und sind dort vielleicht eine Dreiviertelstunde geblieben. Dann kamen sie wieder runter und sagten, dass sie sich melden, sobald sie von ihm hören.«
Eine Mitgliederliste fällt nicht weiter auf, dachte Winnie. Man kann sie zusammenfalten und praktisch überall verstecken. Allerdings war Jerry wohl kaum so dumm gewesen, ein derart brisantes Dokument in seinem Zimmer aufzubewahren. Im Gegenteil: Wenn diese ominöse Liste tatsächlich existiert hat, wird er sie vermutlich gut versteckt haben …
Laut sagte sie: »Ist Ihnen im Zimmer Ihres Sohnes irgendwas aufgefallen, nachdem die Männer weg waren?«
Ihre Zeugin schüttelte den Kopf. »Es sah aus wie immer. Ich weiß noch, dass ich mich fragte, was, um Himmels willen, diese Leute so lange da oben gemacht haben.«
Winnie nickte. Profis, ganz klar. Spezialisten …
Wenn du sie nicht mit eigenen Augen gesehen hättest, wie sie zur Tür reinspaziert sind, wüsstest du nicht mal, dass sie da waren.
Sie starrte eine Vase mit Tannengrün auf Dorothea Ziesers Kaminsims an. Aus irgendeinem Grund musste sie an ihr Apartment denken. An die Tür, die nicht abgeschlossen gewesen war. An den eigenartigen Geruch, von dem sie nicht wusste, ob sie ihn sich nicht vielleicht doch nur einbildete. Und an Annabelle.
Natürlich konnten Aquarienfische einfach verschwinden …
Sie konnten zum Beispiel gefressen werden …
Vielleicht war Annabelle krank, versuchte Winnie, das zutiefst beunruhigende Gefühl, das noch immer in ihr wühlte, zu vertreiben. Vielleicht war sie deshalb so ruhig, man könnte fast sagen: apathisch. Und die Natur regelte solche Dinge ja oft erstaunlich unkompliziert.
Der ist der trägste von allen,
pflichtete die bemühte Zooverkäuferin ihr in ihrer Erinnerung bei.
Noch zu faul, sich zu verstecken …
Winnie riss den Blick von dem Adventsstrauß los. Ja, das wäre durchaus eine
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