Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
redete er nicht darüber. Und leider gibt es offenbar auch keine lebenden Verwandten mehr. Seine Eltern sind schon lange tot. Und seine einzige Schwester starb bereits mit sechzehn bei einem Unfall.«
Winnie bemerkte, dass Verhoeven zu ihr schaute.
Seine einzige Schwester starb bei einem Unfall …
»Und wie sieht’s mit seinem Vermögen aus?«, fragte sie eilig. »Als leitender Oberstaatsanwalt hat er doch bestimmt nicht schlecht verdient.«
»Das bestimmt nicht«, räumte Werneuchen ein.
»Also: Wer hat ihn beerbt?«
»Das müsstest du wohl am besten seinen Testamentsvollstrecker fragen«, antwortete Werneuchen, und als er Hinnrichs’ fragenden Blick bemerkte, setzte er eilig hinzu: »Da Belting keine Familie und damit auch keine gesetzlichen Erben hatte, bestimmte er bereits Anfang der Neunziger einen alten Schulfreund dazu, seinen Nachlass zu regeln, falls ihm mal was passiert.«
»Na, das ist doch immerhin ein Ansatzpunkt!«, frohlockte Winnie. »Hast du einen Namen für uns?«
Werneuchen nickte. »Der Mann heißt Kaspar Olivier. Übrigens ein Anwaltskollege von Belting. Wenn auch gewissermaßen von der Gegenfraktion.«
»Olivier?« Hinnrichs knallte sein iPad auf den Tisch. »Ach du Scheiße!«
Winnie sah ihn an. »Hab ich was verpasst?«
»Nein, das können Sie gar nicht mehr wissen«, erklärte der Leiter des KK 11 . »Aber Kaspar Olivier war einer der brillantesten Strafverteidiger des Landes. Die bösen Buben standen Schlange, um in den Genuss seiner Vertretung zu kommen.«
Bredeney nickte. »Oh Mann, ja, ich erinnere mich gut an ihn!« Er sprach durchaus nicht ohne Sympathie. »Wenn man zu
dem
in den Zeugenstand musste, konnte man eigentlich nur noch das Beten anfangen! Ich sage dir, du konntest dir tausendmal sicher sein, dass du im Recht bist – wenn Olivier mit dir fertig war, wusstest du nicht mehr, wo oben und unten ist.«
»Und seine Abstürze waren mindestens so legendär wie seine Plädoyers«, setzte Hinnrichs mit einer sehr eigentümlichen Mischung aus Missbilligung und Neid hinzu.
»Allerdings«, nickte Bredeney. »Was hat dieser Kerl geaast! Ein kleines Männlein, fett und hässlich wie die Nacht. Aber auf seine sehr spezifische Weise hatte er Charme, das konnte man ihm nicht absprechen.«
Hinnrichs gab einen unbestimmten Laut von sich. Offenbar konnte er diese Art von Charme nicht nachvollziehen.
»Ich würde ihn gern sprechen«, sagte Winnie. »Vielleicht kann er uns etwas über Beltings Kontakte verraten.«
Werneuchen schob seinen Stuhl zurück. »In diesem Fall solltest du dich beeilen.«
»Wieso?«
Anstelle einer Antwort kritzelte er eine Adresse auf einen Zettel und reichte sie ihr über den Tisch.
»Ein Hospiz?«, fragte Winnie erschrocken.
Werneuchen nickte. »Nach allem, was man hört, ist Kaspar Olivier mehr tot als lebendig.«
Winnie warf einen Blick auf die Uhr. »Dann erledige ich das noch vor dem Dienst«, entschied sie.
»Wann musst du dort sein?«, fragte Werneuchen.
»Heute und morgen habe ich Nachtdienst.«
»Ich könnte Sie zumindest für heute krankmelden«, erbot sich Hinnrichs in ungewohnter Fürsorge. »Sie haben kaum geschlafen.«
Winnie machte eine wegwerfende Geste. »Ach was, kein Problem.«
Er bedachte sie mit einem langen, prüfenden Blick. »Ich rufe Frau Theunes an«, entschied er dann. »Erledigen Sie, was Sie erledigen müssen.«
»Danke«, sagte Winnie, einigermaßen gebügelt.
»Man muss Prioritäten setzen«, entgegnete Hinnrichs.
Und wie so oft bei ihm überlegte Winnie, ob er ihr mit dieser Bemerkung etwas ganz Bestimmtes sagen wollte.
3
Sie hatte mit Verhoeven besprochen, dass er sich um den Stand der Tatort-Ermittlungen rund um Dorothea Ziesers Haus kümmern und sich bei dieser Gelegenheit auch gleich noch mal in Jerrys Zimmer umsehen solle. Das Hospiz, in dem Kaspar Olivier untergebracht war, lag in Nierstein, und Winnie beschloss, auf dem Weg dorthin noch einmal im Mainzer Mutterhaus jenes Ordens vorbeizuschauen, in den Ines Heider kurz nach dem Urteilsspruch gegen Ackermann eingetreten war. Schon länger hatte sie vor, sich noch einmal mit der ehemaligen Altenpflegerin zu unterhalten, und die Tatsache, dass sie auf dem Weg in ein Hospiz war, hatte ihr diesen Umstand wieder ins Gedächtnis gerufen.
Sie fand Ines Heider in der klostereigenen Kapelle, wo sie dabei war, den Altarraum zu schmücken.
»Heute keinen Dienst?«, fragte Winnie, wobei sie zufrieden feststellte, dass Ines Heider alias Schwester Maria Berngit
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