Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
wurde.
Winnie rieb sich die trockenen Augenwinkel. Was hieß schon müde? »Was ist mit Papens Telefondaten?«
»Morgen, okay?«, sagte Werneuchen. »Er hat gesagt, vor morgen schafft er’s nicht.«
Zu ungeduldig, was?,
meldete sich einmal mehr die unangenehm herrische Stimme Will Papens in Winnies Kopf.
Zähneknirschend fügte sie sich und nahm ihren Parka vom Haken.
»Hey, was machst du eigentlich an Heiligabend?«, fragte Lübke hinter ihrem Rücken.
Die Frage erwischte Winnie kalt. Das war jetzt das dritte Weihnachtsfest, seit sie einander kannten, und noch nie hatte er sich nach ihren Plänen für die Feiertage erkundigt. Vor lauter Schreck fiel ihr nichts als die Wahrheit ein: »Ich weiß noch nicht genau«, stammelte sie, »nichts Besonderes. Und du?«
»Na ja«, begann er umständlich. »Ich schätze, ich werde wohl mein übliches Programm abziehen.«
»Das da wäre?«, wollte Werneuchen wissen.
»Erst zieh ich mir
Stirb langsam 2
und
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rein«, erklärte Lübke, »und dann genehmige ich mir eine schöne Pulle …« Er unterbrach sich gerade im richtigen Moment, als er Winnies entsetzten Blick bemerkte. »Und dann genehmige ich mir eine schöne Pulle Evian. Und dazu ein Putensteak und Bratäpfel aus dem eigenen Ofen.« Er lehnte sich genießerisch zurück. »Oh ja, Mann, das ist es!«
»Und wie verbringst du den großen Tag?«, gab Winnie die unbequeme Frage an Werneuchen weiter, bevor Lübke noch einmal auf sie selbst zurückkommen konnte.
»Auch wie jedes Jahr.«
»Und das heißt?«, fragte Lübke.
»Das heißt Rinderbraten und Knödel bei meinen Eltern, ein heftiger Streit mit meinem Schwager, nachdem er spätestens um zehn anfangen wird, meine Schwester systematisch zu erniedrigen. Während ich mich also munter mit ihrem Mann zoffe, wird sie schmerzvoll lächeln, die Kinder ins Bett bringen und anschließend versuchen, so ausgleichend wie möglich auf uns einzuwirken, während Mama ungeniert Partei für ihren Schwiegersohn ergreift und Papa in den Keller flüchtet und ziellos im Internet surft, bis gegen drei Uhr früh alle heulend ins Bett gehen.«
»Klingt harmonisch«, brummte Lübke.
»Oh ja, das ist es«, gab Werneuchen erstaunlich gleichmütig zurück. »Aber am ersten Feiertag habe ich Dienst!«
»Ich auch«, rief Winnie.
»Wir Glücklichen«, sagte Lübke, halb im Scherz, halb ernst.
So viel zum Thema Fest der Liebe, dachte Winnie. Doch sie war noch nicht aus dem Schneider.
»Aber so ’n schönen, saftigen Rinderbraten könnte ich mir schon mal wieder vorstellen«, schwärmte Lübke, nachdem Werneuchen mit einem Stapel Berichte in sein Büro verschwunden war. »Bloß kann ich leider keinen.«
»Nicht?«, fragte Winnie.
»Nee. Rind wird bei mir grundsätzlich zäh wie Leder. Ganz egal, wie viel Kohle ich vorher beim Metzger lasse.« Er zuckte seine massiven Schultern. »Tja, nicht zu ändern. Oder kannst du so was?«
»Du meinst kochen?«
»Ich meine Rinderbraten.«
Winnie schob die Unterlippe vor. Sie hatte es noch nie versucht. Trotzdem brachte irgendein kleines Teufelchen sie dazu, »Ja« zu sagen.
»Echt? Hey, das ist ja phantastisch«, rief Lübke begeistert, während Winnie sich innerlich eine schallende Ohrfeige für ihre Dummheit gab. »Was würdest du davon halten, wenn wir uns zusammentun? Ich steuere das Rotkraut und die Äpfel bei. Du machst den Braten. Und Pommes und Eis bringt der Typ vom Tiefkühlservice.«
»Du meinst, wir sollen zusammen Weihnachten feiern?«, fragte Winnie entgeistert.
»Wieso nicht? Oder hast du ’n Problem mit Bruce Willis?«
»Nein, aber …«
»Na, dann ist doch alles klar!« Lübke schob seinen Stuhl zurück. »Heiligabend also um sieben bei mir.«
»Ich denke nicht daran, für dich zu kochen«, rief Winnie ihm nach, doch er war bereits um die Ecke. »Idiot!«, fauchte sie.
»Wer?«, fragte Verhoeven, der in diesem Augenblick von seiner Unterredung mit Hinnrichs zurückkehrte.
»Nicht Sie«, lachte Winnie.
Doch ihr Vorgesetzter schien heute noch weniger Spaß zu verstehen als sonst. Er machte ein Gesicht wie Miss Piggy, der man gerade einen Witz über Hinterschinken erzählt hat.
»Alles klar?«, fragte Winnie.
Er lächelte. »Ich weiß nicht.«
Was hieß das denn jetzt schon wieder? Doch sie verkniff sich die Frage. Stattdessen sagte sie laut und abschließend: »Dann bis morgen, ja?«
»Ja«, entgegnete Verhoeven, »bis morgen.«
Freitag, 19 . Dezember
7
Der nächste Tag schleppte sich arbeitsreich, aber mühsam
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