Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
beiden Beamten breitgemacht hatte. »Poker eins, hier Zentrale«, dröhnte gleich darauf Werneuchens Stimme aus dem Lautsprecher. »Alles klar bei euch?«
»Alles ruhig«, antwortete Bredeney. »Zielperson ist im Bad und macht sich für die Nacht zurecht.«
»Gut. Und sonst?«
»Alles klar. Bis später.«
»Jau. Bis dann.«
11
Winnie schob einen Stapel Essenszettel von sich und blickte nervös auf die Uhr über der Tür zum Schwesternzimmer. Noch nicht einmal halb zehn.
Die Nacht hatte gerade erst begonnen …
Hinter ihr beugte sich Jörg Thalau über eine der Arbeitsflächen und bereitete gewissenhaft die Medikamentendosen für die Nacht vor. Der Einfachheit halber erhielten alle Bewohner der Residenz ihre Medikamente vom Pflegepersonal, unabhängig davon, ob sie noch in der Lage waren, dies selbst zu erledigen oder nicht.
»Damit ist sichergestellt, dass niemand aus Vergesslichkeit etwas Wichtiges versäumt«, hatte Keela erklärt, als Winnie sich bei einer vorangegangenen Gelegenheit danach erkundigt hatte.
»Ist das nicht entmündigend?«, hatte sie gefragt.
Und Keela hatte mit den Schultern gezuckt und geantwortet: »Es ist das Einfachste.«
Tja, dachte Winnie, die Frage ist bloß, ob das Einfachste immer das Wünschenswerteste ist. Immerhin sollte es ja das Ziel sein, die alten Leute so lange wie möglich selbstständig agieren zu lassen, oder nicht?
»Hast du ’ne Frage?«, blaffte Thalau, der bemerkt hatte, dass sie ihm zusah.
Winnie schüttelte eilig den Kopf.
Dann guck auch nicht so blöd,
entgegnete sein Blick, während auf dem Gang vor dem Schwesternzimmer das Quietschen von Gummisohlen laut wurde.
Nicole Freytag kehrte von ihrer ersten Runde zurück.
»Irgendwann verpasse ich dem perversen alten Sack eine Ohrfeige, dass er sein verdammtes Gebiss anschließend eigenhändig von der Wand kratzen kann«, fluchte sie, indem sie die Kühlschranktür aufriss und eine Dose Cola herausnahm. »Also, wie man selbst in seinem Zustand immer noch ans Vögeln denken kann, ist mir ein echtes Rätsel!«
Thalau verzog das Gesicht. »Hat er dir wieder an die Brust gefasst?«
»Nein«, gab Nicole mit einem sarkastischen Lächeln zurück. »Was das angeht, bin ich ja jetzt schlauer und sorge dafür, dass er nicht mehr drankommt. Dafür hat er’s zur Abwechslung mal zwischen meinen Beinen versucht.«
Ihr Kollege schüttelte verständnislos den Kopf.
»Aber dafür kriegt er morgen eine Traubenzuckerpastille anstelle seines Schmerzmittels, darauf kannst du deinen Arsch verwetten.« Sie knallte ihre Coladose auf den Tisch und streckte die Füße von sich. »Soll er doch sehen, wie er klarkommt, wenn ihn sein verdammter Rücken die ganze Nacht wachhält.«
»Damit handelst du dir nur Ärger ein«, gab Thalau zu bedenken.
»Und wenn schon.« Nicole nahm einen kräftigen Zug aus ihrer Dose. »Man kann sich doch auch nicht alles gefallen lassen, oder?«
Sie benehmen sich, als ob ich gar nicht da bin, dachte Winnie staunend. Aber das konnte ihr im Grunde nur recht sein!
»Was ist eigentlich mit deiner Uhr?« Nicole schlüpfte aus ihren Crocs und legte die Füße auf den Stuhl neben sich. »Ist die inzwischen wiederaufgetaucht?«
Jörg Thalau schüttelte den Kopf. »Leider nein.«
»Und die Brosche von Frau Hartwig?«
»Fehlanzeige.«
Winnie horchte auf. »Äh … ’tschuldigung«, sagte sie und kam sich vor wie ein lästiges Kleinkind.
Nicole drehte den Kopf. »Ja?«
»Heißt das, dass hier vor kurzem Sachen verschwunden sind?«
»Was heißt verschwunden«, echauffierte sich Nicole. »Geklaut worden sind sie.« Sie lachte, als sie Winnies Gesichtsausdruck sah. »Tja, Schätzchen, du hast richtig gehört, irgendwer in diesem Puff klaut wie ein Rabe. Aber das sagst du besser nicht laut.«
Winnie runzelte die Stirn. »Wieso?«
Thalau und seine Kollegin tauschten einen Blick. »Na, weil in diesem Haus nicht sein kann, was nicht sein darf«, sagte er.
»Muss ich das jetzt verstehen?«
»Die Theunes hat Schiss«, entgegnete Nicole. »Wenn’s nämlich wer vom Personal gewesen ist, kriegen wir ’n Riesenaufstand unter den Bewohnern. Und wenn’s einer von denen war, ist auch die Kacke am Dampfen, weil das bedeuten würde, dass die Theunes nicht genug Sorgfalt auf die Auswahl der Bewohner legt.« Sie betrachtete ihren Daumennagel und steckte ihn gleich darauf in den Mund, um einen Reißnagel abzubeißen. »Also sind wir ein Haufen von Trotteln, die ihre Sachen verlegen, wo sie gehen und stehen, und die
Weitere Kostenlose Bücher