Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)

Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)

Titel: Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
Vom Netzwerk:
ausschaltete und einen Bestätigungsknopf drückte. »Komm mit, ich erklär dir den Rest unterwegs.«
    Winnie folgte ihm auf den Gang und von dort zum Treppenhaus.
    »Das ist das dritte Mal, seit ich hier bin«, erklärte Thalau, während sie die Treppe hinabstiegen. »Das erste Mal war in der Cafeteria. Einmal im Keller. Und zuletzt in der Bibliothek.«
    »Und jedes Mal war es Fehlalarm?« Winnie versuchte vergeblich, zu ihm aufzuschließen.
    »Was heißt Fehlalarm«, versetzte er, ohne seinen Schritt zu verlangsamen. »Diese Sensoren reagieren einfach übersensibel. Und leider bleiben die Leute hier nie, wo sie hingehören.« Er seufzte. »Beim ersten Mal war’s ’ne Kollegin, die sich nachts in der Cafeteria eine Zigarette angesteckt hatte, weil es draußen schiffte wie Sau und sie keinen Bock hatte, vor die Tür zu gehen. Aber von da an wusste das Personal natürlich Bescheid.«
    »Und die beiden anderen Male?«
    »Im Keller war’s ein brennender Wäschehaufen. Irgendein makabrer Scherz.« Er stieß die Tür zur Cafeteria auf und blickte sich suchend um. »Und in der Bibliothek muss irgendwer wohl ein Feuerzeug in die Nähe des Rauchmelders gehalten haben.«
    »Ist das der Grund, warum die Gemeinschaftsräume über Nacht abgeschlossen werden?«, rief Winnie seinem Rücken zu.
    »Auch. Und weißt du was?«
    »Was?«
    »Diese Dinge passieren immer vor zehn.«
    »Also kurz bevor die entsprechenden Räume für die Nacht verschlossen werden«, schloss Winnie.
    Thalau nickte. »Lass uns noch die Teeküche checken«, sagte er. »Aber ich wette, da ist auch nichts.«
    Winnie folgte ihm. »Das klingt aber irgendwie schon nach Absicht, oder?«
    »Sicher ist das Absicht.« Er hob vielsagend die Schultern. »Du hast doch inzwischen mitgekriegt, was hier abgeht. Diese alten Leute sind wie die kleinen Kinder. Sobald du sie aus den Augen lässt, machen sie nichts als Blödsinn.«
    Winnie biss sich auf die Lippen. Es passte ihr ganz und gar nicht, wie er über die Bewohner redete, auch wenn sie wusste, dass vieles davon zu dem dicken Fell gehörte, das man sich zulegen musste, wenn man diese Art von Job tat. Und doch: Seit sie hier arbeitete, hatte sie viel nachgedacht. Über Menschenwürde. Über Mündigkeit. Und auch über die Frage, ab welchem Alter man das Recht hatte, einen Menschen nicht mehr für voll zu nehmen. Ob man überhaupt ein Recht hatte, sich dergleichen anzumaßen …
    Kurioserweise musste sie ausgerechnet jetzt an ihren Vater denken. Ihren Vater, der offenbar vergessen hatte, wer er war. Und der vermutlich bald in einem ähnlichen Heim untergebracht sein würde.
    Mein Pflegevater war in den letzten beiden Jahren auch in so einem Heim,
erklärte ein imaginärer Verhoeven in ihrem Kopf, und Winnie fiel ein, wie ihr Vorgesetzter reagiert hatte, als sie daraufhin geäußert hatte, es tue ihr leid, dass sein Pflegevater tot sei.
    »Mir nicht«, hatte er geantwortet. Und nach einem Moment des Nachdenkens hatte er hinzugefügt: »Zumindest glaube ich das.«
    Und ich?, überlegte sie. Was glaube ich? Was empfinde ich bei dem, was mit meinem Vater geschieht? Ist es mir tatsächlich egal?
    Am 26 . Januar. Um 10 Uhr 30 in der Uniklinik in Darmstadt …
    Neben ihr straffte Jörg Thalau die Schultern und sorgte so dafür, dass sich ihre Gedanken wieder auf die Gegenwart richteten. Auf die verwaiste Cafeteria, in der noch immer der Geruch des Abendessens hing. Auf die überaus mündige alte Dame, die zwei Etagen über ihnen den Lockvogel für sie spielte und die sie um jeden Preis schützen musste. Und auf den Alarm, den niemand außer ihr ernst zu nehmen schien und bei dem sie trotz aller harmlos anmutenden Erklärungen ein entschieden ungutes Gefühl hatte.
    Winnie musste sich zusammenreißen, nicht nach ihrer Waffe zu greifen, als sie Thalau zur Bedientheke folgte, hinter der einer von zwei Zugängen zur Teeküche lag.
    Die Tür war nur angelehnt. Dahinter gähnte muffige Düsternis.
    Thalau seufzte, fasste um die Ecke und betätigte den Lichtschalter. Gleich darauf flammten die drei kalten Neonröhren unter der Decke auf.
    »Riechst du das?«
    Winnie nickte. »Verkohltes Papier oder so was.«
    Anstelle einer Antwort trat Thalau an eines der Spülbecken, dessen Boden schwarz war von Ruß und Asche. »Da hast du’s«, rief er wutentbrannt. »Einer von diesen netten Alten hatte wohl vor, uns ein bisschen auf Trab zu bringen. Ich glaube, manche von denen denken ernsthaft, dass wir hier die ganze Nacht nur Däumchen

Weitere Kostenlose Bücher