Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
Grund«, sagte sie nach einer Weile, und Winnie hätte einen heiligen Eid darauf geschworen, dass sie nicht die Wahrheit sagte.
»Na ja, als Polizist macht man sich ja durchaus nicht immer nur Freunde«, kam sie der Witwe zu Hilfe.
Verhoevens Miene verriet, dass er die Aussage seiner Kollegin viel zu suggestiv fand, doch Felicia Ott fing den Ball, den Winnie Heller ihr zugespielt hatte, bereitwillig auf. Sie wirkte geradezu erleichtert.
»Ach so«, sagte sie. »Jetzt weiß ich, worauf Sie hinauswollen. Und natürlich wurde Boris auch hin und wieder mal bedroht. Aber … das hat er nie besonders ernst genommen, wissen Sie. Er sagte: Hey, ist doch klar, dass XY einen Rochus auf mich hat, immerhin geht er für den Rest seines Lebens in den Knast. Oder so was in der Richtung.« Sie schenkte Winnie ein kurzes Lächeln. Dann sah sie wieder weg. »Jedenfalls hat er sich nie sonderlich von diesen Dingen beeindrucken lassen.«
»Trotzdem …«, beharrte Winnie. »Erinnern Sie sich in diesem Zusammenhang noch an irgendwelche Namen?«
Kopfschütteln. »Er … Boris hatte mit so vielen Leuten zu tun. Beruflich, meine ich. Und ich habe meistens gar nicht richtig hingehört, weil ich … ich wollte eigentlich gar nicht so genau wissen, womit er zu tun hat.« Sie schlug grazil die Beine übereinander. »Das hätte mir nur Angst gemacht.«
Verhoeven nickte. »In den letzten Jahren seines Lebens hat Ihr Mann an Alzheimer gelitten, nicht wahr?«
Boris Mangs Witwe biss sich auf die aufgespritzte Unterlippe. Als sie den Mund wieder öffnete, zeichneten sich weiß die Abdrücke ihrer Schneidezähne ab. »Es ging alles so furchtbar schnell«, flüsterte sie.
»Was meinen Sie?«
»Als wir die Diagnose bekamen, sagte man uns, dass es Jahre dauert, bis …« Sie unterbrach sich erneut.
»… bis die Erkrankung so weit fortgeschritten ist, dass Ihr Mann in besonderer Weise betreut werden muss«, ergänzte Winnie, wobei sie abermals unauffällig zu Verhoeven hinüberschaute.
Mein Pflegevater war zuletzt auch in so einem Heim.
Mein Pflegevater …
»Ja, genau. Aber so war es nicht. Es ging Boris von Tag zu Tag schlechter. Das Tempo, das diese Krankheit an den Tag legte, war wirklich beängstigend.« Felicia Otts Blick irrte umher. »Zuerst vergaß er nur Kleinigkeiten. Wo er seinen Wagen geparkt hatte, zum Beispiel. Oder dass er mir dieses oder jenes gerade erst erzählt hatte. Aber dann spitzte es sich mit einem Mal zu, verstehen Sie? Er lief mir immer wieder davon. Manchmal fand ich ihn erst nach Stunden wieder. Mitten in der Nacht, irgendwo auf einer Parkbank. Oder ich bekam einen Anruf, dass ich ihn da und da abholen soll.«
»Die Krankheit brach aber erst aus, als Sie bereits verheiratet waren, oder?«, fragte Verhoeven.
Sie nickte.
»Aber nicht lange danach, stimmt’s?«
Um Felicia Otts Mundwinkel spielte ein Ausdruck von Hohn. »Sie reden schon genau wie seine Töchter«, konstatierte sie bitter.
»Das ist ein gutes Stichwort.« Verhoeven beugte sich ein Stück vor. »Die beiden waren nicht besonders begeistert, als Sie Ihren Mann in ein Pflegeheim gaben, oder?«
Die Witwe zuckte die Achseln. Eine Mischung aus Gleichgültigkeit und Trotz. »Wer keine Lust hat, selbst Verantwortung zu übernehmen, sollte sich meiner Meinung nach auch kein Urteil anmaßen, was zumutbar ist und was nicht.«
Was das anging, gab Winnie ihr recht.
»Keine der beiden wäre auf den Gedanken gekommen, sich auch nur einen einzigen Tag lang um Boris zu kümmern«, fügte Felicia Ott mit Blick auf Verhoeven hinzu. »Übrigens auch nicht vor meiner Zeit. Sie konnten ihren Vater nicht mal leiden. Und doch gingen sie damals auf mich los wie die Hyänen.« In ihrem Blick lag echtes Unverständnis. »Als ob ich Boris in irgendein todbringendes Arbeitslager hätte einweisen lassen.«
»Darf ich fragen, wieso Sie Ihren Mann ausgerechnet nach St. Hildegard brachten?«, griff Verhoeven die unbeabsichtigte Vorlage bereitwillig auf.
Und Felicia Ott verstand die Frage genau so, wie sie gemeint gewesen war. »Sie wollen mir doch nicht ernsthaft erzählen, ich hätte vorhersehen müssen, dass er dort ermordet wird, oder?«, gab sie empört zurück, und zum ersten Mal im Verlauf dieses Gesprächs wirkte ihr Gesicht nicht ganz so tot.
»Nein, natürlich nicht«, entgegnete Verhoeven ungerührt. »Meine Frage zielte eher darauf ab, dass seine Unterbringung in einer so …«, er zögerte und suchte eine Weile nach dem passenden Wort, »… exklusiven
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