Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
Ton war ungewohnt scharf. »Was hast du mit diesen alten Hüten zu tun?«
»Ich bin über Boris Mangs Witwe auf diese Informationen gestoßen«, log Winnie. »Und da wir gerade bei Initialen waren, dachte ich …«
»Pass bloß auf, dass du dir da nicht ins Knie schießt«, unterbrach Lübke sie warnend. »Diese ollen Kamellen haben seinerzeit verdammt viel Staub aufgewirbelt, und wenn du’s genau wissen willst, werden sie mancherorts noch immer nicht gern gehört. Solange du also nichts Konkretes hast …« Er ließ den Satz unbeendet und sah ihr eindringlich in die Augen.
»… halte ich besser meinen Mund«, ergänzte sie betont harmlos, weil sie wusste, wohin es führen konnte, wenn Lübke erst einmal anfing, sich Sorgen zu machen. »Ganz wie Sie wünschen, Sir.«
»Das ist nicht lustig.«
»Ich habe es auch nicht lustig gemeint.«
Seine Miene drückte Zweifel aus, doch er kam nicht dazu, diese zu äußern, weil in diesem Augenblick Werneuchen hinter ihm auftauchte. »Du sollst dringend in Hinnrichs’ Büro kommen«, sagte er und meinte Winnie.
»Ich weiß.« Sieh an, wer hätte für möglich gehalten, dass sie sich mal derartig darüber freute, zum Chef zu müssen! »Bin schon unterwegs.« Sie fischte ihren Notizzettel mit der kryptischen Botschaft »37 A. S.« von ihrer Schreibtischunterlage und reichte ihn Werneuchen. »Sei so gut und geh mal die Listen mit Ackermanns Bekannten durch, ob da ein oder eine A. S. dabei ist«, sagte sie. »Fang mit dem Personal von St. Hildegard an. Und falls du dort nicht fündig wirst, kümmere dich um die Bewohner, die in der Zeit vor Ackermanns Verhaftung dort gelebt haben.«
»Und diese Zahl? Siebenunddreißig?« Werneuchen runzelte die Stirn. »Gehört die irgendwie dazu?«
»Weiß ich noch nicht«, räumte Winnie ein. »Vielleicht ist A. S. auch gar keine Person, sondern die Abkürzung eines Straßennamens. Und 37 ist die dazugehörige Hausnummer. Oder beides gehört zu einem Schließfach oder so was.« Sie strich sich durch die Haare. »Wir müssen alle Möglichkeiten in Betracht ziehen.«
»Ich jage das mal durch und sehe zu, ob ich was rausfinde«, versprach Werneuchen und trat einen Schritt zur Seite, damit sie an ihm vorbeikonnte.
»Ach ja, und schau doch gleich auch noch nach einem Mann namens Roger.«
Werneuchen zog die Brauen hoch, sagte aber nichts.
»Mach bloß keinen Blödsinn, hörst du!«, rief Lübke hinter ihr her, als Winnie fröhlich Richtung Aufzug tänzelte.
»Ach was«, rief sie zurück. »Mach ich doch nie.«
Sein zweifelndes Stöhnen war noch durch die geschlossene Aufzugtür zu hören.
9
»Eine verdeckte Ermittlung?«
»Warum nicht?« Hinnrichs’ Reptilienaugen wandten sich ihr zu, als wollte er sie regelrecht aufspießen. »Sie stehen doch so auf Rollenspiele.«
Na, herzlichen Dank auch! Winnie Heller warf ihm einen finsteren Blick zu. »Das ist ja gut und schön, aber …«
»Ja?«
Verdammt! Schließlich konnte sie ihm schlecht sagen, dass sie vielleicht gerade auf eine heiße Spur gestoßen war und deshalb viel lieber ganz normal Dienst schieben würde. Dann würde er Beweise verlangen, und sie müsste eingestehen, dass es gegenwärtig nicht mehr als ein Instinkt war, genau genommen sogar eher eins von ihren heißgeliebten Knobelspielen. Mal ganz abgesehen davon, dass Hinnrichs es hasste, wenn man einen seiner Pläne in Frage stellte. Also galt es zunächst einmal, Zeit zu gewinnen. »Es ist nur … Was versprechen Sie sich davon?«
Doch Hinnrichs ging gar nicht erst auf ihre Rückfrage ein. »Ilse Brilon«, erklärte er, indem er sich weit über seinen Schreibtisch beugte und die Fotografie einer hübschen alten Dame vor Winnie auf die Tischplatte knallte. »Neunundsiebzig Jahre alt und an Demenz erkrankt. Sie wohnte seit zweieinhalb Jahren in der Residenz Tannengrund. Vorher lebte sie bei ihrem Sohn und dessen Familie.«
Winnie Heller reichte die Fotografie an Verhoeven weiter, der jedoch nur einen flüchtigen Blick darauf warf.
»Frau Brilon war bekannt dafür, dass sie viel lief«, fuhr Hinnrichs fort, und Winnie musste automatisch wieder an Boris Mang denken. »Sie war fit und von ein paar altersbedingten Wehwehchen mal abgesehen auch kerngesund.«
Genau wie Karlheinz Rogolny und Boris Mang, dachte Winnie.
»Und gab es vorher schon irgendwann mal einen ähnlichen Unfall?«, wollte Verhoeven neben ihr wissen.
Hinnrichs verneinte. »Trotz ihrer Rastlosigkeit und gewisser kognitiver Defizite, die mit ihrer Erkrankung
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