Schneewittchen muss sterben
zu lassen. Schade, eigentlich …«
»Ja, wahrhaftig schade«, sagte Daniela Lauterbach. »Aber da fällt mir etwas ein.«
Terlinden und Dr. Lauterbach standen mit dem Rücken zum Treppenhaus und konnten Amelie, die durch die Tür trat, nicht sehen, aber sie bemerkten, dass Tobias' Aufmerksamkeit für einen Moment abgelenkt war. Daniela Lauterbach griff nach dem Kasten, der unter Terlindens Arm klemmte, und Tobias blickte plötzlich in den Lauf einer Pistole.
»Ich hätte diesen grässlichen Abend beinahe vergessen, wenn du mich nicht gerade daran erinnert hättest. Du erinnerst dich, Claudius, wie Wilhelm plötzlich in der Tür vom Schlafzimmer stand und mit genau dieser Pistole auf uns gezielt hat…« Sie lächelte Tobias an. »Danke, dass du mich auf die Idee gebracht hast, du kleiner Dummkopf.«
Ohne eine Sekunde zu zögern, drückte Daniela Lauterbach ab. Ein ohrenbetäubender Knall zerriss die Stille. Tobias verspürte einen heftigen Stoß und hatte das Gefühl, seine Brust würde explodieren. Ungläubig starrte er die Ärztin an, die sich bereits abwandte. Er hörte, wie Amelie mit schriller Stimme verzweifelt seinen Namen rief, wollte etwas sagen, bekam aber keine Luft. Die Beine knickten unter ihm weg. Tobias Sartorius spürte nicht mehr, wie er auf dem Granitfußboden aufschlug. Um ihn herum war alles schwarz und totenstill.
Sie berieten gerade, wie sie auf das hermetisch abgeriegelte Gelände der Terlinden-Werke gelangen konnten, als sich von der anderen Seite des Tores mit aufgeblendeten Scheinwerfern und hoher Geschwindigkeit eine dunkle Limousine näherte. Das Tor glitt lautlos zur Seite.
»Das ist er!«, rief Pia und machte den Kollegen ein Zeichen. Claudius Terlinden, der am Steuer seines Mercedes saß, musste scharf bremsen, als ihm plötzlich zwei Streifenwagen den Weg versperrten.
»Er ist alleine im Auto«, stellte Bodenstein fest. Pia trat mit gezogener Waffe neben ihn und bedeutete Terlinden, die Scheibe herunter zu lassen. Zwei weitere Polizeibeamte verliehen Pias Aufforderung Nachdruck, indem sie das Auto umstellten, die Waffen im Anschlag.
»Was wollen Sie von mir?«, fragte Terlinden. Er saß stocksteif da, seine Hände umklammerten das Lenkrad. Trotz der Kälte glänzte sein Gesicht vor Schweiß.
»Steigen Sie aus, öffnen Sie alle Türen und den Kofferraum«, befahl Bodenstein. »Wo ist Tobias Sartorius?«
»Woher soll ich das denn wissen?«
»Und wo ist Frau Dr. Lauterbach? Jetzt steigen Sie schon aus!«
Terlinden rührte sich nicht. In seinen weit aufgerissenen Augen lag nackte Panik.
»Er steigt nicht aus«, ertönte eine Stimme aus dem Inneren des Wagens, das hinter getönten Scheiben verborgen war. Bodenstein beugte sich ein wenig vor und erkannte Daniela Lauterbach auf der Rückbank. Und die Pistole, die sie Terlinden an den Hinterkopf presste.
»Machen Sie sofort den Weg frei, sonst erschieße ich den Mann«, drohte sie. Bodenstein spürte, wie ihm nun selbst der Schweiß ausbrach. Er zweifelte nicht an Daniela Lauterbachs Entschlossenheit. Die Frau hatte eine Waffe in der Hand und nichts mehr zu verlieren – eine äußerst gefährliche Kombination. Bei dem Mercedes verschlossen sich die Türen nach ein paar Metern Fahrt selbsttätig von innen, weder Bodenstein noch die Polizisten auf der anderen Seite hatten also die Möglichkeit, einfach die Türen aufzureißen und die Ärztin zu überwältigen.
»Ich glaube, sie meint es ernst«, flüsterte Terlinden heiser. Seine Unterlippe zitterte, er stand ganz offensichtlich unter Schock. Bodenstein überlegte fieberhaft. Sie würden kaum entkommen. Bei dem Wetter konnte auch ein S-Klasse-Mercedes mit Winterreifen höchstens 120 fahren.
»Ich lasse Sie gehen«, sagte er schließlich. »Aber sagen Sie mir erst, wo Tobias ist.«
»Wahrscheinlich bei seinem Papa im Himmel«, erwiderte Daniela Lauterbach an Terlindens Stelle und lachte kalt.
Bodenstein und ein Streifenwagen folgten dem schwarzen Mercedes aus dem Gewerbegebiet hinaus hoch zur B 8, während Pia über Funk Verstärkung anforderte und einen Rettungswagen zum Werk beorderte. Terlinden bog nach rechts auf die vierspurig ausgebaute Bundesstraße Richtung Autobahn ab. Schon bei Bad Soden schlossen sich ihnen zwei weitere Streifenwagen an, wenige Kilometer weiter tauchten noch drei auf. Zum Glück war der Feierabendverkehr vorbei. In einem Stau könnte die Sache leicht eskalieren, allerdings würde Daniela Lauterbach ihrem Chauffeur kaum während der Fahrt in den
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