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Schneewittchen-Party

Schneewittchen-Party

Titel: Schneewittchen-Party Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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vermache ich…« –, und wenn sie dann eine schöne runde Summe genannt hätte, die dem treuen Au-pair-Mädchen hinterlassen werden sollte, dann hätte die Familie das zwar vielleicht für übertrieben gehalten, es aber ohne Misstrauen akzeptiert. Aber die Familie ganz zu enterben, den Neffen, der in allen vier Testamenten, die sie in einem Zeitraum von zwanzig Jahren gemacht hatte, der Haupterbe seiner Tante gewesen war, und alles dem fremden Mädchen Olga Seminoff zu vermachen – das war nicht Louise Levin-Smith’ Art. Nein. Sie war gierig, dieses heißblütige, leidenschaftliche Kind. Möglicherweise hatte Mrs Levin-Smith ihr erzählt, dass sie ihr eine kleine Summe hinterlassen werde. Und da hatte sich für Olga plötzlich ein Ausblick geöffnet. Sie würde alles haben. Die alte Dame würde alles ihr vermachen, und sie würde all ihr Geld haben. All ihr Geld und das Haus und die Kleider und den Schmuck. Alles. Ein gieriges Mädchen. Und jetzt ereilte sie die Strafe.
    Und Mr Fullerton hatte Mitleid mit ihr – gegen seinen Willen, gegen seinen Instinkt als Jurist und gegen noch vieles andere. Großes Mitleid. Sie hatte von Kindheit an Schweres durchgemacht, hatte das Unterdrücktsein in einem Polizeistaat kennen gelernt, hatte ihre Eltern verloren, einen Bruder und eine Schwester, war Ungerechtigkeit begegnet und hatte die Angst kennen gelernt, und das alles hatte in ihr einen Charakterzug zur Entwicklung gebracht, mit dem sie zweifellos geboren war, den sie aber bisher nie hatte ausleben können. Es hatte eine kindische, leidenschaftliche Gier in ihr geweckt.
    »Alle sind gegen mich«, sagte Olga. »Alle. Sie sind gegen mich. Sie sind nicht gerecht, weil ich Ausländerin bin, weil ich nicht in Ihr Land gehöre, weil ich nicht weiß, was ich sagen muss und was ich tun muss. Was kann ich tun? Warum sagen Sie mir nicht, was ich tun kann?«
    »Weil ich im Grunde nicht glaube, dass Sie viel tun können«, sagte Mr Fullerton. »Die beste Chance haben Sie, wenn Sie alles offen eingestehen.«
    »Wenn ich das sage, was Sie wollen, dann ist das eine Lüge und die Unwahrheit. Sie hat das Testament gemacht. Sie hat es aufgeschrieben. Dann hat sie mir gesagt, ich soll aus dem Zimmer gehen, und die andern haben unterschrieben.«
    »Es gibt Beweise, die gegen Sie sprechen. Es gibt Leute, die sagen werden, dass Mrs Levin-Smith oft nicht wusste, was sie unterschrieb. Sie ging mit den verschiedensten Dokumenten um, und sie las das, was ihr vorgelegt wurde, nicht immer noch einmal durch.«
    »Dann hat sie nicht gewusst, was sie sagte.«
    »Mein liebes Kind«, sagte Mr Fullerton, »Ihre einzige Hoffnung liegt in der Tatsache, dass Sie nicht vorbestraft sind, dass Sie Ausländerin sind und nur rudimentäre Kenntnisse der englischen Sprache haben. Sie werden vielleicht mit einer milden Strafe davonkommen – oder Sie bekommen vielleicht sogar Bewährung.«
    »Oh, Worte. Nichts als Worte. Man wird mich ins Gefängnis werfen und nie wieder frei lassen.«
    »Jetzt reden Sie Unsinn«, sagte Mr Fullerton.
    »Es wäre besser, ich renne weg und verstecke mich, dass niemand mich findet.«
    »Wenn erst einmal ein Haftbefehl für Sie ausgeschrieben ist, wird man Sie finden.«
    »Nicht, wenn ich es schnell tue. Nicht, wenn ich sofort gehe. Nicht, wenn mir jemand hilft. Ich könnte fliehen. Aus England fliehen. In einem Schiff oder Flugzeug. Ich könnte jemand finden, der Pässe fälscht oder Visa oder was man dazu braucht. Jemand, der etwas für mich tut. Ich habe Freunde. Ich habe Menschen, die mich gern haben. Jemand könnte mir helfen, zu verschwinden. Das brauche ich jetzt. Ich könnte eine Perücke aufsetzen. Ich könnte an Krücken gehen.«
    »Hören Sie«, hatte Mr Fullerton gesagt, und er hatte mit Bestimmtheit gesprochen. »Sie tun mir leid. Ich werde Sie an einen Anwalt empfehlen, der sein Bestes für Sie tun wird. Sie können nicht verschwinden. Sie reden wie ein Kind.«
    »Ich habe genug Geld. Ich habe Geld gespart.« Und dann hatte sie gesagt: »Sie versuchen, nett zu mir zu sein. Ja, das glaube ich. Aber Sie wollen nichts tun, weil es das Gesetz will – das Gesetz. Aber es wird mir schon jemand helfen. Jemand wird es schon tun. Und ich werde fliehen, und niemand wird mich finden.«
    Niemand, dachte Mr Fullerton, hatte sie gefunden. Er fragte sich – ja, er fragte sich sogar sehr –, wo sie jetzt sein konnte.

14
     
    I m Haus Apfelbaum wurde Hercule Poirot ins Wohnzimmer geführt, und man sagte ihm, dass Mrs Drake gleich

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